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Gottfried Böhm: Ein Faible für Zusammenführung

Gottfried Böhms Bauten im fotografischen Archiv von der Ropp – Teil III

von Manuela Klauser

Die Überwindung räumlicher Grenzen kennzeichnet die zahlreichen Entwürfe Böhms für Museen, Rathäuser, Ämter, Firmenverwaltungen und andere kommunale Bauaufgaben noch deutlicher als seine Sakralbauten. Nicht Transparenz, Durchlässigkeit und Linearität, sondern proportionale Verschiebungen, Wiederholung großformatiger Strukturen im Kleinen, unerwartete Perspektiven und Sichtachsen oder die schon oft bemerkte Plaza-Struktur seiner Innenräume erzeugen ein gebautes Abbild urbaner Spatialität. Innen wie außen bilden Wege und Zugänge ein dynamisches Miteinander. Es entstehen Kommunikationszonen, Treppenaufgänge überschneiden sich und Zwischenräume verschmelzen mit der Struktur der Wegbarkeit als wesentliches Kennzeichen derartiger Bauaufgaben.

Die vielfältigen Bauformen der Rahmungen, individualisierten Fensterformen, Brüstungen, Emporen und Handläufe sind mit der Präzision eines Schreiners zusammengefügt und weisen bei aller Vielfältigkeit die Raumgestaltung außen wie innen als zusammengehörig aus. Intime Atmosphäre entsteht auf Vorplätzen, ohne Barrieren zu errichten – Öffentlichkeit im Treppenhaus, ohne Privatsphäre zu reduzieren. Dieser eigenwillige Dialog zwischen skulptural anmutenden Rundungen und scharfgratigen Kanten sowie der oft gut erkennbaren, schalungsrauen Oberfläche von Beton wird in allen Fotografien durch das ausgezeichnete Gespür für Licht und Schatten, Schärfe und Unschärfe sowie Nähe und Ferne gut erkennbar.

Siedlung Seeberg-Nord (Köln-Chorweiler; 1966–73)

Mitte der 1960er-Jahre begannen im Architekturbüro Böhm die Planungen für das Neubauviertel Seeberg-Nord unweit des Naherholungsgebiets Fühlinger See im nördlichsten Stadtrandgebiet Kölns, in Chorweiler. Noch heute setzt sich Böhms kleinteilige, in der Geschosshöhe abwechslungsreich entwickelte Siedlungsstruktur von der umgebenden Standard-Sozialwohnungsbebauung ab.

Filigrane Stahlrohrstrukturen in knalligem Rot lockern die kühle Sichtbetonarchitektur auf. Glatte, abweisende Fassaden gibt es nicht. Überall stechen Außentreppen, Balkone, kleine, von niedrigen Betonbrüstungen eingefasste Grünflächen und mit den Betonbauten spielerisch verwobene Aufenthaltsbereiche zwischen den Häusern heraus und erklären Zwischenräume zu belebten und benutzbaren Begegnungszonen. Die Treppenhäuser und Wohnungen im Inneren sind mit demselben offenen Geist gestaltet. Böhm schuf mit der Siedlung Seeberg-Nord eine Struktur, deren menschenfreundliche Grundhaltung man sich in vielen ähnlichen Siedlungsbauten wünschen würde.

Diözesanmuseum Paderborn (1967-75)

Das Diözesanmuseum steht in zentraler Lage der Innenstadt gleich neben dem Dom. Es erstreckt sich auf einem Eckgrundstück südwestlich des mittelalterlichen Kirchenbaus. Die ruhige und geschlossene, freitragende Fassadenstruktur aus einer sehr dünnen, grauen Bleiverkleidung für Wand- und Dachflächen lastet auf einem rundum verglasten, teilweise zurückspringenden Sockelgeschoss, das den Niveauunterschied des nach Norden abfallenden Platzes ausgleicht.
Die Konstruktion scheint in einigen Fotografien der von der Ropps stellenweise mit dem Dom zu verwachsen und wirkt wie ein moderner Anbau. Die Aufnahmen des Außenbereichs treten den damals wie heute zu hörenden Vorwürfen entgegen, der Neubau verstelle den Blick auf den Dom und würdige damit die Bedeutung des alten Bauwerks herab. Wie bei den Burgenbauten sind in Böhms Entwurf Altes und Neues visuell grundsätzlich differenziert. Gerade durch die beinahe abweisend wirkende – für Böhm durchaus untypische – Geschlossenheit der Fassade tritt der Bau nicht in Konkurrenz zum benachbarten Sakralbau. Nördlich umschließt der Museumsbau den Dom in einer Abfolge niedriger Anbauten. Der so erzeugte Innenhof weist einen Binnenraum zwischen den beiden Architekturen aus, der auf ganz eigene Art und Weise die urbane Kommunikation bereichert.

Das Innere des Museums ist als umhüllter Stadtraum aufgefasst. Vom gläsernen Haupteingang gegenüber dem Kirchturm wird das Museum in einer Spiralbewegung über zahlreiche Treppenläufe und Ebenen erschlossen, die das Innere des Gebäudes als großen Freiraum charakterisieren. Filigrane Stahlgeländer, verglaste Innenwände und Erker mit rot gefassten Laibungen, Aufzüge und begehbare Plattformen erheben den Bau in die Sphäre visuell sowie bewegungsdynamisch hochmoderner Museumskonzeptionen. Die kostbaren sakralen Skulpturen und Kunstschätze erscheinen wie in einem Schrein aufbewahrt, doch gerade diese markante gläserne Innenraumsituation und die Dynamik der Bewegungsrichtung wurden nur wenige Jahre später infolge einer konservatorisch unumgänglichen Neukonzeption des Museums zerstört. So sind die Fotografien der von der Ropps nicht nur interpretierende Bilder, sondern auch bedeutende Zeitdokumente des Schaffens und der Intentionen des Architekten.

Statistisches Landesamt Düsseldorf (1972–76)

Etwa zur selben Zeit entwarf Böhm ein Gebäude für das nordrhein-westfälische Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik in Düsseldorf (heute: Landesbetrieb Information und Technik des Landes Nordrhein-Westfalen), dessen beeindruckende Dimensionen als urbanes Statement zu bezeichnen sind. Wie eine riesige Wandscheibe erhebt sich ein mit rostansetzenden Platten aus Cortenstahl verkleideter, zwölfgeschossiger Bürobau über einer annähernd quadratischen, sechsgeschossigen und auf den Längsseiten dreifach gestuften Basis. Das monolithische Konstrukt weist trotz seines futuristisch anmutenden, stellenweise groben Formats an vielen Stellen Binnenstrukturen auf, über die es auf einzelnen Ebenen erfahrbar wird. Die vier Zugänge sind als Brücken über das tiefergelegte Parkplatzniveau rings um den Bau angelegt und verleihen ihm damit die Anmutung einer modernen Trutzburg. Der fotografische Blick auf den westlichen Eingang analysiert regelrecht die Struktur aus verschiedenen Nutzungsbereichen sowie den technisch-konstruktiven Anspruch der eigenwilligen Gebäudeästhetik und lenkt die Wahrnehmung vom Großbau auf die innovativen Details.

Die Innenräume sind in unterschiedlichen Geschosshöhen ausgeführt. Während die seitlichen Sockelbauten eher niedrige Decken besitzen und als technische Arbeitsräume ausgestattet sind, ist der zentrale Foyerbereich im Erdgeschoss als Kommunikationszone mit gläsernen Binnenarchitekturen und offenen Treppenläufen gehalten, über die man einen Blick in die immense Höhe des zentralen Büroturms richten kann.

Weiterführende Literatur (Auswahl):
- Frank Dengler, Bauen in historischer Umgebung. Die Architekten Dieter Oesterlen, Gottfried Böhm und Karljosef Schattner, Hildesheim u. a. 2003.
- Der Architekt Gottfried Böhm. Zeichnungen und Modelle, hrsg. vom LVR, Ausst.-Kat. Rheinisches Landesmuseum Bonn, Köln 1992.
- Gottfried Böhm. Bauten im Rheinland 1950 –1980, hrsg. von Svetlozar Raèv, Ausst.-Kat. Bergisch Gladbach 1995.
- Gottfried Böhm, hrsg. von Wolfgang Voigt, Ausst.-Kat. Deutsches Architekturmuseum (DAM), Frankfurt am Main 2006.
- Wolfgang Pehnt, Gottfried Böhm, Basel 1999. Zum 100. Geburtstag von Gottfried Böhm, hrsg. von Wolfgang Pehnt, das münster, Sonderheft 73/2 (2020).

Dr. Manuela Klauser arbeitet als freie Kunsthistorikerin, Kuratorin und Autorin sowie als Redakteurin des Internetportals Straße der Moderne, das Kirchenbauten der letzten hundert Jahre und daran beteiligte Kirchenbaumeister, Architekten und Künstler porträtiert.

Weitere Fotografien zu Gottfried Böhm finden Sie hier.