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Trümmer und Aufbruch. Die Sammlung Schnitkemper

Ein einzigartiger Blick auf die Nachkriegszeit

von Tobias Flümann

Wie sahen Köln, Münster oder Recklinghausen aus, als sie in Trümmern lagen – und wie begann das neue Leben dazwischen?
Die sogenannte Sammlung Schnitkemper zeigt eindrucksvolle Stereoaufnahmen aus den Jahren 1946 bis 1949. Sie dokumentieren die Zerstörung durch den Zweiten Weltkrieg und die ersten Schritte des Wiederaufbaus. Zwischen Trümmern und Rohbauten, leeren Straßen und neu belebten Plätzen erzählen die Bilder vom Übergang in eine neue Zeit.

 

 

Rätselhafte Herkunft

Wer die Fotos aufgenommen hat, ist bis heute unbekannt. Der Bestand wurde bereits 1995 durch das LWL-Medienzentrum angekauft – ohne Begleitmaterial, ohne Notizen, ohne Hinweise auf den Urheber oder die Entstehungsumstände.
Die Aufnahmen liegen als rund 10.000 Kleinbildnegative auf Filmmaterial aus Cellulosenitrat vor, welches unter dem Markennamen „AGFA Isopan F“ vertrieben wurde. Dieses Material ist leicht entflammbar und stellt Archive daher vor besondere Herausforderungen. Bemerkenswert ist auch die verwendete Technik: Es handelt sich überwiegend um Stereofotografie, ein Verfahren, das bereits im 19. Jahrhundert populär war, nach dem Zweiten Weltkrieg aber kaum noch verwendet wurde. Warum also griff der Fotograf auf diese alte Technik zurück? Und wer finanzierte das aufwendige Projekt in einer Zeit, in der Filmmaterial knapp und teuer war?

 

 

Spurensuche mit digitalen Mitteln

Da es keinerlei schriftliche Hinweise gab, musste die Identifizierung der Motive allein über den Bildinhalt erfolgen. Dabei half, dass die Negative zum größten Teil unzerschnitten waren: Auf den langen Filmstreifen reihen sich meist mehrere Ansichten derselben Straße oder desselben Platzes aneinander.
Mit Hilfe digitaler Karten, Vergleichsbilder im Netz und virtueller Stadtbegehungen konnte ein Großteil der Orte ermittelt werden. So gelang es, rund 98 Prozent der Aufnahmen in Münster, Recklinghausen und Köln zu verorten – teilweise bis auf die Hausnummer genau.

 

 

Vom Trümmermeer zur Aufbruchsstimmung

Die Fotografien zeigen eindrucksvoll, wie sich das Gesicht der Städte innerhalb weniger Jahre wandelte. Auf den frühesten Aufnahmen, um 1946 entstanden, sind kaum Menschen zu sehen, die Ruinen liegen wie versteinert im Staub. Auf späteren Bildern, vermutlich 1949, herrscht geschäftiges Treiben: Straßen sind geräumt, Rohbauten entstehen, Läden öffnen wieder. Die Aufnahmen strahlen Zuversicht aus – sie zeigen das Erwachen einer Gesellschaft aus den Trümmern.

 

 

Digitalisierung und Veröffentlichung

Mit Unterstützung der Irene und Sigurd Greven Stiftung in Köln wurden alle Negative vollständig digitalisiert. Im Anschluss mussten die Stereo-Paare aufwendig identifiziert und digital zusammengefügt werden. Bei 96 Prozent der Aufnahmen handelt es sich um Stereo-Aufnahmen, nur vier Prozent sind einfache Fotos.
Die so entstandenen Digitalisate werden nun im Greven Archiv Digital sowie im Bildarchiv für Westfalen des LWL-Medienzentrums präsentiert.

 

 

Aufruf zur Mitwirkung

Viele Fragen bleiben offen: Wer war der Urheber oder die Urheberin? In wessen Auftrag wurde fotografiert? Und warum fiel die Wahl auf die Stereofotografie?
Wir laden alle Interessierten ein, uns bei der weiteren Erschließung zu unterstützen. Jede zusätzliche Information zu Ort, Zeit oder Personen auf den Bildern hilft, das Puzzle dieser faszinierenden Sammlung zu vervollständigen.

Zur Sammlung Schnitkemper im Greven Archiv Digital
Zum Bildarchiv für Westfalen (LWL-Medienzentrum)

 

Weiterführende Informationen finden Sie hier: https://www.lwl-medienzentrum.de/de/im-fokus-online/neu-im-bildarchiv/

 

Tobias Flümann, M.A. (Geb. 1982). Nach dem Studium der Geschichtswissenschaften in Köln und verschiedenen Stationen in Archiven in Süddeutschland ist Tobias Flümann seit 2021 wissenschaftlicher Referent im Bildarchiv des LWL-Medienzentrums.