Themenwelt
Mittelalter und Moderne
Kölns Hohenzollernbrücke
von Jürgen Kaiser
Sie dürfte wohl mit Abstand die bekannteste und meistfotografierte Eisenbahnbrücke Europas sein. In drei großen Bögen schwingt sich die elegante Stahlkonstruktion auf 400 Metern von einem Ufer zum anderen. Trotz 24 000 Tonnen Gesamtgewicht erscheint die Brücke geradezu filigran. Dabei ist sie mit 1500 Zügen die meistbefahrene Eisenbahnbrücke Deutschlands.
Sie dürfte wohl mit Abstand die bekannteste und meistfotografierte Eisenbahnbrücke Europas sein. In drei großen Bögen schwingt sich die elegante Stahlkonstruktion auf 400 Metern von einem Ufer zum anderen. Trotz 24 000 Tonnen Gesamtgewicht erscheint die Brücke geradezu filigran. Dabei ist sie mit 1500 Zügen die meistbefahrene Eisenbahnbrücke Deutschlands.
Doch sie wäre wohl nie Kölns touristisches Lieblingsmotiv geworden, hätte nicht der preußische König Friedrich Wilhelm IV. (Amtszeit 1840–1861) bestimmt, dass die Brücke genau in die Achse des Kölner Domes gelegt werden sollte. Seitdem bilden Dom und Hohenzollernbrücke eine untrennbare Einheit. Und genau dies war auch die Absicht des Herrschers. Nach der Niederlage Napoleons, der alle linksrheinischen Gebiete Deutschlands Frankreich zugeschlagen hatte, wurde es geradezu zur nationalen Aufgabe, den Rhein wieder als deutschen Strom ins allgemeine Bewusstsein zu bringen. Mit der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress 1815 erhielt Preußen das Rheinland samt Köln. Als sichtbarstes Symbol wiedererstarkter nationaler Größe begann unter maßgeblicher Förderung König Friedrich Wilhelms IV. ab 1842 die Vollendung des Kölner Domes. Dieser Kathedrale wollte er nun den Hauptbahnhof samt Rheinbrücke demonstrativ zur Seite stellen. Denn deren innovative Eisenkonstruktion sah er gleichsam als Fortführung des mittelalterlichen Baugedankens der steinernen Streben und Bögen. Sie war sowohl Eisenbahn- und Straßenbrücke, sodass erstmals seit der Römerzeit wieder beide Rheinseiten Kölns fest verbunden waren.
1855 begann der Bau der sogenannten Dombrücke, dem Vorgängerbau der heutigen Hohenzollernbrücke an der gleichen Stelle. Die Kölner gaben ihr sogleich den Spitznamen Mausefalle, erinnerte doch ihr kastenartiger, engmaschiger Aufbau samt abschließbaren Toren etwas daran.
Allerdings war die waagrechte Eisenkonstruktion durch steinerne Portalbauten auf jeder Brückenseite repräsentativ verkleidet worden. Mit ihren seitlichen Türmen in gotischen Formen ahmten sie das Vorbild mittelalterlicher Stadttore nach und schufen mit ihrer mittelalterlichen Architektursprache zugleich einen Bezug zum gotischen Dom. Zwei monumentale Reiterstandbilder in Bronze über den Portalen huldigten den königlichen beziehungsweise kaiserlichen Bauherren Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. Damit wurde die Dombrücke zugleich Denkmal der Hohenzollerndynastie und ihrer offensichtlichen Verdienste für Köln – ein nicht zu unterschätzender Propagandacoup der neuen protestantischen Herrscher im katholischen Rheinland. 1859 konnten sowohl Brücke als auch Hauptbahnhof feierlich eingeweiht werden.
Der Wunsch Friedrich Wilhelms IV., den Bahnhof unmittelbar neben dem Dom zu errichten, führte dazu, dass man für den Bauplatz den Botanischen Garten opfern musste, der bisher Ost- und Nordseite der Kathedrale malerisch gerahmt hatte. Bis heute prallt daher die oft harte soziale Realität des hektischen Bahnhofvorplatzes unmittelbar auf die Domumgebung. Doch ist dies nicht das einzige Problem, das der Preußenherrscher Köln damit bescherte. Denn um von der Eisenbahnbrücke in der gewünschten Domachse in den seitlich gelegenen Hauptbahnhof einbiegen zu können, müssen alle Züge bis heute eine 45-Grad-Kurve fahren. Im heutigen eng getakteten Zugverkehr führt diese problematische Einfahrt immer wieder zu Verzögerungen, zumal die Brücke samt Bahnhofgleisen schnell überlastet ist. Und so hat der Zugreisende manchmal Gelegenheit, aus dem auf der Brücke stehenden Zug Rhein und Stadtansicht zu bewundern – bisweilen länger, als ihm lieb ist, vor allem, wenn er noch einen Anschluss erreichen muss.
Schon Ende des 19. Jahrhunderts war man sich dieser bis heute bestehenden Problematik des verspätungsanfälligen Bahnknotens Köln bewusst und plante eine Verlegung des Hauptbahnhofes aus der Innenstadt heraus. Doch mit einer Stimme Mehrheit entschied der Stadtrat 1883, dass der Hauptbahnhof an der bisherigen Stelle neu gebaut werden sollte. 1894 war der neuromanische, steinerne Prachtbau samt dreigliedriger Bahnsteighalle in einer weit geschwungenen Stahl-Glas-Konstruktion vollendet. Die Dombrücke genügte nun nicht mehr dem gestiegenen Verkehrsaufkommen. Zudem erforderte auch die Rheinschifffahrt eine höher liegende Brückenkonstruktion mit einer breiteren Durchfahrt. Anstelle einer Erweiterung entschied man sich daher für jenen großartigen Neubau, den wir noch heute vor uns haben. Die Anzahl der Gleise konnte verdoppelt werden. Wie bei der Dombrücke war auch eine weitere Fahrbahn für Straßenfahrzeuge samt Straßenbahn vorgesehen.
1911 weihte Kaiser Wilhelm II. die 1907 begonnene Hohenzollernbrücke ein, die nun demonstrativ nach seiner Dynastie benannt wurde. Der Herrscher hatte auch maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung genommen. Seit seinem Studium an der Bonner Universität war er ein Liebhaber der spätromanischen Architektur des Rheinlandes geworden. Dementsprechend monumental ließ er nun beide Brückenauffahrten mit mächtigen Buckelquadern verkleiden und mit hohen Türmen und Toren versehen, entsprechend dem Formenschatz der Stauferzeit. Zugleich ließ er die beiden Reiterstandbilder seines Großvaters und Großonkels um jene für seinen Vater Friedrich III. und sich selbst ergänzen. Denn an Selbstbewusstsein mangelte es dem auftrumpfenden Herrscher sicherlich nicht.
Die zahlreichen Bombenangriffe auf Köln im Zweiten Weltkrieg überstand die Hohenzollernbrücke erstaunlich gut. Ihr Ende kam erst, als die Amerikaner am 6. März 1945 in die Innenstadt vorrückten. Um ihnen den Rheinübergang zu erschweren, sprengten deutsche Pioniere die Brückenpfeiler. Das Foto der teilweise in den Rhein gestürzten Stahlbögen mit dem Dom im Hintergrund gehört zu jenen Bildern, die bis heute am wirkmächtigsten das Kriegsende verdeutlichen.
Da die seitlichen Bögen nur gering zerstört waren, konnte die provisorisch wiederhergestellte Brücke bereits 1948 wieder dem Verkehr übergeben werden.
Damals kam auch wieder die Diskussion um eine Verlegung des Hauptbahnhofes auf. Aber wie schon Ende des 19. Jahrhunderts beließ man alles beim Alten. Während das historistische Bahnhofsgebäude zugunsten einer schlichten 50er-Jahre-Halle verschwand, blieb damals die Bahnsteigüberdachung als eines der großartigsten Zeugnisse deutscher Eisenbahnarchitektur nur aus Kostengründen erhalten.
Bis 1959 rekonstruierte man auch den mittleren Brückenbogen und erweiterte die Konstruktion wieder auf vier Gleise.
Dafür verzichtete man aber auf die Straßenüberfahrt und legte stattdessen seitliche Fußgängerwege an. Da die Architektur des Historismus in den 1950er-Jahren regelrecht verachtet wurde, entschied man sich, die neuromanischen Brückentore samt Türmen abzureißen. Dies veränderte das Erscheinungsbild der Brücke erheblich, sodass die dreibogige Stahlkonstruktion nun stärker im Vordergrund steht. Immerhin schmolz man die vier Reiterstandbilder der Hohenzollernherrscher nicht ein, sondern platzierte sie auf den übrig gebliebenen Unterbauten der niedergelegten Türme.
Zwischen 1985 und 1988 erhielt die Brücke als nördliche Erweiterung zwei S-Bahngleise. In näherer Zukunft ist auch ein aufwendiger Neubau der seitlichen Brückenteile für Fußgänger und Radfahrer zumindest geplant, stoßen doch auch diese längst an ihre Kapazitätsgrenzen.
Mittlerweile erweist sich die Hohenzollernbrücke nicht nur als Anziehungspunkt für Eisenbahnfreunde. Auch verliebte Paare meist jüngeren Alters zieht es seit 2008 verstärkt hierher. Denn als ultimativer romantischer Liebesbeweis gilt es, ein Vorhängeschloss samt Initialen am Gitter zu den Bahngleisen zu befestigen und, natürlich mit einem Selfie für die sozialen Netzwerke dokumentiert, als Zeichen ewiger Liebe theatralisch den Schlüssel in die Fluten des Rheins zu werfen. Zehntausende dieser sogenannten Liebesschlösser klammern sich mittlerweile mit ihrer Tonnenlast an die Brücke und sind zu einem touristischen Wahrzeichen Kölns geworden. Vielleicht sollten die Eigentümer der Brücke – die Stadt Köln und die Deutsche Bahn – als Trennungsritual auch das Entfernen des jeweiligen Schlosses etablieren, damit die Brücke nicht irgendwann einmal in Schieflage gerät …
Sogar für sportliche Aktivitäten ist die Hohenzollernbrücke geeignet. Und damit ist nicht nur der tägliche Radverkehr im gewagten Slalom um die Fußgänger und Verliebten gemeint. Denn seit 1998 betreibt der Deutsche Alpenverein an den mächtigen Buckelquadermauern der nördlichen Brückenrampe eine öffentliche Kletteranlage.
Dr. Jürgen Kaiser (geb. 1967) studierte in Marburg und Köln Kunstgeschichte, Mittelalterliche Geschichte und Provinzialrömische Archäologie. Er lebt in Köln als Sachbuchautor und Kulturreiseleiter. Gemeinsam mit dem Fotografen Florian Monheim veröffentlichte er im Greven Verlag Köln zahlreiche Bücher, zuletzt 2019 Macht und Herrlichkeit – die großen Kathedralen am Rhein von Konstanz bis Köln.















