Themenwelt
Maria Laach
KLOSTERIDYLLE IM VULKANKESSEL
von Jürgen Kaiser
Nicht nur dank einem eigenen Autobahnanschluss der nahe vorbeiführenden A 61 gehört Maria Laach im nördlichen Rheinland-Pfalz zu den meistbesuchten Klöstern Deutschlands. Die idyllische Lage am kraterartigen Laacher See und die Vollkommenheit der romanischen Abteikirche lassen keinen Besucher unbeeindruckt. Die steigenden Besucherzahlen, besonders an den Wochenenden, sind allerdings Fluch und Segen zugleich. Zum einen finanzieren die Benediktiner mit den klostereigenen Werkstätten, mit Buch- und Kunsthandlung, Gärtnerei, Seehotel und Gaststätte ihren Lebensunterhalt. Zum anderen soll aber auch die Spiritualität dieses besonderen Ortes nicht verloren gehen.
Oswald Kettenberger, Besucherinnen und Besucher der Abtei Maria Laach, um 1970
Das friedliche Landschaftsbild mit einer kreisrunden Hügelkette um den weiten See entstand aus einer der schlimmsten Naturkatastrophen auf dem Gebiet des heutigen Deutschland. Vor circa 13 000 Jahren kam es zu einem gewaltigen Vulkanausbruch, der weite Landstriche unter einer meterdicken Ascheschicht begrub. Zurück blieb der Vulkankessel (Caldera), der sich allmählich mit Wasser füllte. Ein geologischer Wanderpfad erschließt mit zahlreichen Schautafeln die vulkanischen Hinterlassenschaften. Auf der dem Kloster gegenüberliegenden Seeseite sprudelt bis heute reichlich Kohlendioxid aus dem Wasser empor (Mofetten), was unmissverständlich zeigt, dass der Vulkan nur ruht und jederzeit wieder aktiv werden kann.
Oswald Kettenberger, Laacher See, o. D.
Die Benediktinermönche, die Ende des 11. Jahrhunderts mit ihrem Klosterbau am Seeufer begannen, ahnten nichts von dieser lange zurückliegenden Katastrophe. Vielmehr nutzten sie das zu Basalt und Tuff erstarrte vulkanische Material dankbar zum Bau ihrer Abtei, stand es doch reichlich und ortsnah zur Verfügung. Auch die Landwirtschaft florierte durch die besondere Fruchtbarkeit der vulkanischen Böden. Schon die Römer nutzten diesen besonderen Ort. Vermutlich waren sie es, die dank einer technischen Meisterleistung mit einem Tunnel den Seespiegel um mehrere Meter absenkten, um mehr Land zu gewinnen. Lange schrieb man diesen aufwendigen Ablauf Abt Fulbert (Amtszeit 1152–1177) zu. Doch wäre dies das einzige mittelalterliche Beispiel, bei dem diese antike Tunneltechnik unvermittelt noch einmal angewendet worden wäre.
Nach der Klosterauflösung im Zuge der Säkularisation 1802 erwarb der spätere preußische Regierungspräsident in Trier, Daniel Heinrich Delius, die Abteigebäude und wandelte sie zu einem Gutshof um. Er ließ einen weiteren Ablauf anlegen, um erneut den Seespiegel zu senken. Ursprünglich reichte das Wasser nämlich bis zur heutigen Straße und damit unmittelbar an die Klostermauer.
Florian Monheim, Blick von Nordosten über den Laacher See, 2012
1093 gründete der rheinisch-lothringische Pfalzgraf Heinrich II. zur Absicherung seines Seelenheiles eine Benediktinerabtei am Seeufer. Auf einem Vorsprung des Vulkankraters besaß er eine Burg und umfangreichen Besitz im Umland. Beides übergab er dem Kloster als Erstausstattung. Doch kaum waren dessen Fundamente gelegt und die Mauern der Kirche einige Meter emporgewachsen, verstarb der Stifter 1095. Da die Kirche noch Baustelle war, erhielt er sein Grab zunächst im Kreuzgang vor dem Kapitelsaal. Seine Gemahlin Adelheid überlebte ihn nur um fünf Jahre und ließ sich in der Abtei Echternach bestatten. Nun ruhten die Bauarbeiten mehrere Jahre, bis sich 1112 Pfalzgraf Siegfried, Adelheids Sohn aus einer früheren Ehe, wieder der Gründung seines Stiefvaters annahm. Die ersten Mönche ließ er aus der stiefväterlichen Klosterstiftung Affligem in Brabant kommen. Dank wachsendem Besitz und Unterstützung einiger bedeutender Adelsfamilien des Rheinlandes konnten auch die Bauarbeiten zügig aufgenommen werden. 1156 erhielt die weitgehend vollendete Klosterkirche ihre Weihe und war damit liturgisch nutzbar. Doch man arbeitete noch bis 1167/69 am Westbau weiter. 1185 wurde ein neuer, höherer Dachstuhl auf dem Mittelschiff errichtet. Dadurch war es möglich, in einer vorerst letzten Baumaßnahme die bisherige Flachdecke im Hauptschiff durch Gewölbe zu ersetzen Um 1220 kam noch das kreuzgangartige Atrium hinzu.
Florian Monheim, Nordflügel des Paradieses, 2008
Oswald Kettenberger, Blick auf die Südostfassade der Abteikirche, o. D.
Das benediktinische Klosterleben konnte nach der Säkularisation erst 1892 mit einer Neugründung durch die Erzabtei Beuron wieder aufgenommen werden. Unter Abt Ildefons Herwegen (Amtszeit 1913–1946) erreichte die Abtei ihre größte Bedeutung als Zentrum der liturgischen Erneuerungsbewegung, deren Vorstellungen den katholischen Gottesdienst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) prägen.
Oswald Kettenberger, Luftaufnahme des Klosters, um 1970
Oswald Kettenberger, Pater Theodor Bogler im Klostergarten, o. D.
Während die Abteigebäude überwiegend dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert entstammen, blieb die Abteikirche weitgehend in ihrer Baugestalt des 12. Jahrhunderts erhalten. Der sechstürmige, doppelchörige und dreischiffige Kirchenbau gehört zu den bedeutendsten Schöpfungen der rheinischen romanischen Architektur. Auch wenn hier nur eine Kirche zur exklusiven Nutzung durch einen Mönchskonvent errichtet werden sollte, orientierte man sich doch erstaunlicherweise am Vorbild der Kathedralen von Speyer und Mainz. Querhaus, östlicher Vierungsturm, Chorwinkeltürme sowie das Kirchenschiff lassen deutlich den Bezug zu Speyer erkennen. Doch bei der doppelgeschossigen Außengliederung der Ostapsis nahm man sich die kurz zuvor vollendete Ostapsis des Bonner Münsters zum Vorbild.
Oswald Kettenberger, Blick auf die Nordostfassade der Abteikirche, o. D.
Der Westbau wiederum geht auf das Vorbild des östlichen Abschlusses des Mainzer Domes zurück. Wie dort finden sich Rundtürme an den Seiten des Querhauses, das innen ebenfalls zweigeschossig unterteilt ist. Auch die Außengliederung der Westapsis verweist auf Mainz. Allerdings findet sich in der Laacher Westapsis im Unterschied zu Mainz innen eine Empore. Der westliche Vierungsturm Maria Laachs wiederum orientiert sich mit Rhombendach, Platten- und Rundbogenfries sowie Zwerggalerie eindeutig an Kölner Vorbildern. Nachweislich diente die Zwerggalerie zur öffentlichen Zeigung der in Köln erworbenen Reliquien der Abtei an bestimmten Fest- und Wallfahrtstagen. So abgeschieden die Lage Maria Laachs erscheinen mag: Die vielfältigen architektonischen Bezüge zu den prominentesten romanischen Bauwerken des Ober- und Niederrheins machen die Abteikirche zu einem Kristallisationspunkt der Baukunst des 12. Jahrhunderts.
Florian Monheim, Westfassade mit Paradies, 2007
Zum kunsthistorischen Ruhm der Abteikirche trägt nicht wenig das kreuzgangartige Atrium vor dem Westbau bei. Beidseitig öffnen Rundbogenarkaden auf Doppelsäulen das Mauerwerk. Von außergewöhnlicher Schönheit und Qualität ist der Kapitellschmuck, besonders am Westportal. Dort finden sich mit Doppelmasken, kämpfenden Mischwesen und einem Teufel, der die Sünden der eintretenden Kirchenbesucher notiert, wunderbare Beispiele für die hochstehende Bildhauerkunst des frühen 13. Jahrhunderts im Rheinland.
Oswald Kettenberger, Architekturdetail, o. D.
Oswald Kettenberger, Kapitell mit Laacher Haarraufer und Teufel, o. D.
Vermutlich wurde die Bildhauerwerkstatt des Atriums aus der anderen Klostergründung der rheinisch-lothringischen Pfalzgrafen, der Benediktinerabtei Brauweiler bei Köln, vermittelt. Die Steinmetzen dieser Werkstatt waren dort bei den Kapitellen des Kreuzganges und der Kirchenportale tätig. Die kunstgeschichtliche Forschung des 19. Jahrhunderts schrieb diese Bildhauerarbeiten dem sogenannten Samson-Meister zu, benannt nach einer in Maria Laach aufbewahrten Samson-Figur, die vielleicht von der zerstörten Chorschranke der Abteikirche stammte.
Oswald Kettenberger, Figur des Samson vom sog. Samson-Meister, o. D.
Doch es dürfte sich eher um eine von französischen Vorbildern beeinflusste, wandernde Gruppe von Steinmetzen handeln, die an einigen Orten im Rheinland um 1220/30 nachweisbar ist. Den Löwenbrunnen im Innenhof des Atriums schuf allerdings nicht diese mittelalterliche Werkstatt, sondern 1928 ein kunstsinniger Klosterbruder, der ein Bild des Löwenbrunnens der Alhambra im spanischen Granada gesehen hatte. Das Atrium diente nicht wie heute nur als Vorhalle für die Besucher, sondern im Mittelalter als überdachter Prozessionsgang für die Mönche. Den Seitenschiffen folgend, konnten diese so den Westchor mit seinem Altar außen umrunden.
Oswald Kettenberger, Blick auf das Atrium der Abteikirche, o. D.
Beim Außenbau der Abteikirche ist nicht nur die symmetrische Gestaltung der dreitürmigen Ost- und Westpartie bemerkenswert. Auch das vulkanische Baumaterial verdient einen besonderen Blick. Auffällig sind die ockerfarbenen Tuffe, die nicht wie sonst in der rheinischen Romanik üblich zu ziegelformatigen Steinen, sondern hier zu großen Quadern ausgearbeitet wurden. Auch mit dieser aufwendigen Quadertechnik folgt Maria Laach den Domen in Speyer und Mainz.
Florian Monheim, Mauerdetail an der Abteikirche, 2008
Ursprünglich war das Mauerwerk der Basilika und des Atriums seit der Romanik durch eine Schlämme vor Witterungsschäden geschützt und farbig gefasst. Erst die Restaurierungen des 19. Jahrhunderts hatten die heutige steinsichtige Erscheinung zur Folge, die man fälschlicherweise für ursprünglich hielt. Eine gute Vorstellung davon, wie bunt die Außenerscheinung einer romanischen Kirche ursprünglich war, gibt der Turm der Nikolauskapelle des frühen 13. Jahrhunderts auf dem Klostergelände. Dort konnte die äußere Farbfassung der Spätromanik wiederhergestellt werden.
Oswald Kettenberger, Nikolauskapelle, o. D.
Der Innenraum der Abteikirche erscheint heute ebenfalls in unmittelalterlicher Steinsichtigkeit. Nur einzelne gotische Freskenreste an den Pfeilern lassen die einstige Farbenpracht des Innenraumes ahnen. Wie am Außenbau sind die tragenden Bauteile – Pfeiler, Arkaden und Gurtbögen – aus Basalt, während die Zwischenwände aus Tuffsteinen errichtet wurden. Eine Besonderheit sind die querrechteckigen Kreuzgratgewölbe des Mittelschiffes, die sich sonst nur noch in den Seitenschiffen des Speyerer Domes finden.
Florian Monheim, Abteikirche: Blick nach Osten mit Hochaltarbaldachin, 2007
Durch die Nüchternheit des Innenraumes ist der goldglänzende Mosaikschmuck der Ostapsis umso auffälliger. Doch dieser entstammt nicht der Romanik, sondern dem frühen 20. Jahrhundert. Kein Geringerer als Kaiser Wilhelm II., der seit seiner Bonner Studienzeit eine besondere Vorliebe für die rheinische Romanik und insbesondere für Maria Laach pflegte, gab ihn ebst einem monumentalen Hochaltar in Auftrag. Mit dem monumentalen Brustbild des segnenden Christus folgt er dem normannischen Vorbild der Kathedrale von Monreale in Sizilien.
Oswald Kettenberger, Abteikirche: Apsismosaik, um 1970
Wilhelms Hochaltar ließen die Mönche nach dem Zweiten Weltkrieg entfernen, da er nicht mehr dem stark gewandelten Kunstgeschmack entsprach. Stattdessen stellte man hier wieder den Altarbaldachin des frühen 13. Jahrhunderts auf, allerdings ohne Zwerggalerie, die man fälschlicherweise als Zutat des 19. Jahrhunderts ansah und herausbrach. Die spätromanischen Bildhauer schufen aus dem leicht zu bearbeitenden Tuff ein filigranes, reich durchbrochenes Gebilde, das kronenartig den Altar überfängt. Die schwungvoll angelegten Öffnungen lassen durch ihre Anlehnung an vegetabile Formen einen unbefangenen Betrachter eher an Jugendstil denn an Romanik denken. Die beiden vorderen Säulen wirken wie Marmor, sind aber aus den Kalkablagerungen der römischen Eifelwasserleitung ins antike Köln herausgearbeitet. Dieser sogenannte Aquädukt-Marmor findet sich an zahlreichen Bauwerken der rheinischen Romanik und darüber hinaus.
Florian Monheim, Abteikirche: Hochaltarbaldachin im Chor, 2007
Ursprünglich gab es in den großen romanischen Kirchen des Rheinlandes wohl viele solcher Altarbaldachine nach dem Vorbild stadtrömischer Kirchen. Doch verschwanden diese spätestens im 17. und 18. Jahrhundert zugunsten hoher Barockaltäre. Auch Maria Laach wurde von dieser Barockisierungswelle erfasst. Doch zerstörten die Mönche aus Pietätsgründen ihren Altarbaldachin nicht, sondern versetzten ihn in die Westapsis über das mittelalterliche Stiftergrab. Der große barocke Hochaltar aus Maria Laach findet sich übrigens in der Kirche des Eifeldorfes Kesseling an einem Seitenarm der Ahr, wohin er nach der Säkularisation gelangte.
Neben dem Altarbaldachin ist das Hochgrab des Klostergründers Pfalzgraf Heinrich II. im Westchor das einzige mittelalterliche Ausstattungsstück, das bis heute vor Ort erhalten geblieben ist. Es entstand erst um 1270, da der damalige Abt Theoderich II. den prominenten Stifter wieder ins allgemeine Gedächtnis rufen wollte – nicht zuletzt, um so allen kleinadeligen Widersachern, die den Klosterbesitz damals schädigten, klarzumachen, dass sein Kloster unter höherem Schutz stand. Der mit gotischem Maßwerk verzierte Steinsarkophag trägt die überlebensgroße Holzfigur des Pfalzgrafen samt Kirchenmodell. Die jüngste Restaurierung brachte die überaus differenzierte, strahlend bunte Farbfassung des 13. Jahrhunderts zu Tage, nun geschützt durch einen Glassturz.
Oswald Kettenberger, Abteikirche: Stiftergrabmal im Westwerk, um 1970
Unter dem Ostchor befindet sich die romanische Krypta, die, wenn auch im Kleinformat, ebenfalls dem Vorbild des Speyerer Domes folgt. Säulen mit Würfelkapitellen und ausladenden Kämpfern tragen die Gurtbögen der Kreuzgratgewölbe. Die im Boden eingelassene Grabplatte Abt Gilberts (Amtszeit 1127–1152) aus der Mitte des 12. Jahrhunderts greift interessanterweise die antike Mosaiktechnik auf, in der das Brustbild des Abtes samt Inschrift erscheint. Das Original der Grabplatte befindet sich heute im Rheinischen Landesmuseum in Bonn. Am Altar der Krypta wurde 1918 erstmals in der katholischen Liturgie hin zur Gemeinde zelebriert, gemäß den Vorstellungen der Liturgischen Bewegung.
Florian Monheim, Abteikirche: Krypta, Blick nach Osten, 2007
Dr. Jürgen Kaiser (geb. 1967) studierte in Marburg und Köln Kunstgeschichte, Mittelalterliche Geschichte und Provinzialrömische Archäologie. Er lebt in Köln als Sachbuchautor und Kulturreiseleiter. Gemeinsam mit dem Fotografen Florian Monheim veröffentlichte er im Greven Verlag Köln zahlreiche Bücher, zuletzt 2019 Macht und Herrlichkeit – die großen Kathedralen am Rhein von Konstanz bis Köln.
Oswald Kettenberger (geb. 1927) absolvierte eine Fotografenlehre und lebt seit 1961 als Brudermönch in der Abtei Maria Laach. In rund 25 Jahren publizierte er eine Vielzahl von Fotobänden, darunter gemeinsam mit Luise Rinser Nach seinem Bild (1969) und gemeinsam mit Drutmar Cremer Maria Laach – Landschaft, Baukunst, Plastik (1971).
Weitere Fotografien von Oswald Kettenberger finden Sie hier.
Florian Monheim (geb. 1963) ist einer der erfolgreichsten und bekanntesten Architekturfotografen Deutschlands. Zu den vielen großformatigen Bildbänden und Kalendern zu Architekturthemen, die er veröffentlichte, gehört auch der 2019 im Greven Verlag erschienene Band Macht und Herrlichkeit – die großen Kathedralen am Rhein von Konstanz bis Köln (gemeinsam mit Jürgen Kaiser).
Eine große Auswahl an Fotografien von Florian Monheim ist hier zu sehen.




















