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Kaiserin Theophanu und ihre Enkelinnen
Macht in Frauenhand
von Jürgen Kaiser
Große Politik schien in der Vergangenheit immer Männersache gewesen zu sein. Erst in jüngerer Zeit gelangten Politikerinnen an die Spitze bedeutender Staaten, so zumindest unser Glaube. Doch mitten in Köln ruhen in einem schlichten, modernen Sarkophag aus weißem, griechischem Marmor die Gebeine einer Frau, die im 10. Jahrhundert einst halb Europa erfolgreich regierte – ausgestattet mit einer einmaligen Machtfülle und ungeheurem Reichtum.

Köln, St. Pantaleon: Theophanu-Sarkopharg.
Betrachtet man das Leben dieser Kaiserin Theophanu, so erscheint es wie ein Roman: mit zwölf Jahren herausgerissen aus ihrem behüteten Leben im Luxus byzantinischer Paläste und mit einem unbekannten Herrschersohn des barbarischen Westens vermählt, mit dreizehn schon an seiner Seite mitregierende Kaiserin, mit dreiundzwanzig Witwe und energische Regentin für ihren minderjährigen Sohn und schließlich ihr früher Tod als Dreißigjährige.
Die Hochzeit Theophanus mit Kaiser Otto II. fand am 14. April 972 im konstantinischen Petersdom in Rom statt. Dort hatte sich zehn Jahre zuvor dessen Vater Otto I. als Erneuerer des weströmischen Imperiums durch den Papst zum Kaiser krönen lassen. Durch seine Hochzeit mit der italienischen Königswitwe Adelheid herrschte Otto I. nicht nur über weite Teile Europas, sondern auch über halb Italien. Die Braut aus Byzanz sollte der ottonischen Dynastie gleichsam die Anerkennung ihres Herrschaftsanspruches durch Ostrom sichern. Doch anstelle der gewünschten byzantinischen Kaisertochter kam nur eine kaiserliche Nichte. Die prachtvollen Schätze aus Gold, Elfenbein, Edelsteinen und Seidenstoffen, die der Braut mitgegeben worden waren, waren wohl auch dazu gedacht, dieses Manko zu überspielen.
Die junge Braut lebte sich erstaunlich schnell in ihrer neuen Heimat ein und entwickelte bald auch ein ausgeprägtes Machtbewusstsein. Dieses benötigte sie umso mehr, als ihr Schwiegervater Otto I. nur ein Jahr später verstarb und nun ihr junger Gemahl der alleinige Herrscher war. Doch Otto II. sollte kein langes Leben beschieden sein, infizierte er sich doch auf einem süditalienischen Feldzug mit Malaria. 983 verstarb er schon mit 28 Jahren und hinterließ den erst dreijährigen Thronerben Otto III. Der nächste männliche Verwandte des Kindkönigs, der Bayernherzog Heinrich der Zänker, erhob eigene Thronansprüche und entführte den kleinen Otto samt dessen Schwester Adelheid. Theophanu behielt die Nerven, schloss mit ihrer verhassten Schwiegermutter Kaiserin Adelheid einen Burgfrieden, sodass beide Frauen zusammen die Revolte bald wieder in den Griff bekamen. Theophanu übte nun erfolgreich die Regentschaft im Reich aus, während Adelheid in Oberitalien die Interessen ihres Enkels vertrat. So kamen sich die beiden machtbewussten Damen auch nicht mehr in die Quere.
Ihre drei Töchter versorgte Theophanu schon früh: Adelheid und Sophia traten schon im Kindesalter in die ottonischen Damenstifte Quedlinburg und Gandersheim ein, wo sie später als Äbtissinnen und Grundherrinnen ebenfalls selbstständig Macht ausüben konnten. Beide spielten auch in der Reichspolitik und beim Übergang der Königswürde auf die neue Dynastie der Salier eine wichtige Rolle. Die jüngste Tochter Mathilde verheiratete sie mit zwölf Jahren an den 25 Jahre älteren rheinisch-lothringischen Pfalzgrafen Ezzo, den sie als wichtigste Stütze ihrer Macht im Westen dringend benötigte. Aus dieser Ehe entsprangen neben drei Söhnen auch sieben Töchter.

Kloster St. Pantaleon Anfang des 18. Jahrhunderts.
Kaiserin Theophanu verstarb nach längerer Krankheit am 15. Juni 991 in der Pfalz Nimwegen. Rechtzeitig hatte sie sich schon um ihre Grabstätte gekümmert, galt es doch im gesamten Mittelalter als eminent wichtig, zu Lebzeiten Vorsorge für das eigene Seelenheil zu treffen. So ließ sich Theophanu noch auf dem Sterbebett ihre langen Haare abschneiden und in einen Nonnenhabit kleiden, um so beim Jüngsten Gericht besser beurteilt zu werden. Ihr Leichnam wurde wunschgemäß nach Köln überführt, hatte sie doch dort den kreuzförmigen Westbau der Benediktinerabteikirche St. Pantaleon als künftige Grabstätte erbauen lassen.
Der Onkel ihres Mannes, Erzbischof Bruno von Köln, gründete diese Abtei schon als seine eigene Grablege und weihte sie dem ostkirchlichen Märtyrer Pantaleon. Diesem fühlte sich auch Theophanu verbunden, ließ sich aber auch auf ihrer letzten Romreise vom Papst die Gebeine des heiligen Albinus schenken, damit sie an ihrem Grab einen eigenen Fürsprecher am Tag des Jüngsten Gerichtes hatte. Außerdem installierte sie neben der Mönchsabtei einen kleinen Frauenkonvent, der exklusiv für ihre Seele beten sollte. Die Nonnen nutzten hierfür die Emporen des Westbaus der Abteikirche. Von dort aus blickten sie auf das Grab Theophanus, das ursprünglich im Boden des Westbaus eingelassen war.
St. Pantaleon bei Nacht. Historische Fotografie nach 1962.
St. Pantaleon: Blick gen Westen.

St. Pantaleon: Decke des Westwerks.
Von den sieben Enkelinnen Theophanus aus der Ehe Mathildes mit Ezzo wurden sechs zu Äbtissinnen bedeutender Damenstifte geweiht, während allein Richeza im weltlichen Stand blieb und heiraten durfte.
Richeza wurde 1013, ganz im Sinn der Reichpolitik ihres Onkels Ottos III., mit Mieszko, Sohn des polnischen Herzogs Boleslaus I., verheiratet. Sie war das Pfand, das die mittelalterliche europäischer Entspannungspolitik zwischen Ost und West garantieren und die Christianisierung Polens befördern sollte. Noch im selben Jahr wurden Mieszko und Richeza das erste polnische Königspaar. Es sollten harte Jahre für die erst 18 Jahre junge Frau werden: Der Widerstand gegen das christliche Königtum war erheblich und in den dadurch ausgelösten Wirren starb Mieszko 1034. Richeza, die zunächst noch gemeinsam mit ihrem Sohn Kasimir die Regentschaft führte, musste nach einigen Jahren zusammen mit Kasimir das Land verlassen. Dennoch gelang es, auch mit Hilfe rheinischer Truppen, Kasimir 1039 als König von Polen zu etablieren. Richeza kehrte auf ihre rheinischen Besitzungen zurück. Dank ihres beträchtlichen Reichtums konnte sie auch das von ihren Eltern gegründete Familienkloster Brauweiler unterstützen, wobei sie sich die Einkünfte ihrer Landschenkungen an die Abtei klugerweise zum lebenslangen Nießbrauch vorbehielt. Damit konnte sie nicht nur weiterhin ihren aufwendigen Lebensstil aufrechterhalten, sondern auch anderweitig als Gönnerin auftreten.

Brauweiler: Abteikirche St. Nikolaus.
Abteikirche St. Nikolaus. Historische Fotografie vor 1940.
Der Tod ihres Bruders Otto 1047 auf der nahen Tomburg erschütterte Richeza so sehr, dass sie am Tag seiner Beisetzung in Brauweiler den Schleier einer sogenannten Gottgeweihten Witwe nahm, damals ein exklusives Angebot der Kirche an hochadelige Frauen, die nicht in ein Kloster eintreten, sondern weiterhin in der Welt ein geistliches Leben führen wollten. Dadurch mussten sie nicht auf ihren Besitz verzichten, wie es bei einem regulären Klostereintritt gewesen wäre. Gleichzeitig gelobte sie den Neubau der Brauweiler Abteikirche, der umgehend begonnen und dank ihrer großzügigen Förderung auch 1061 vollendet war. Mit Ausnahme der Krypta ließen ihn die Mönche im 12. Jahrhundert durch einen spätromanischen Kirchenbau ersetzen.
Ganz im Sinne ihrer Großmutter Theophanu förderte sie in Brauweiler die Verehrung des ursprünglich ostkirchlichen Heiligen Nikolaus, übergab sie der Abtei doch eine bedeutende Reliquie.
Abteikirche St. Nikolaus: Romanische Nikolaus-Figur am Vierungspfeiler.
Als Richeza zwei Jahre später auf ihrem Fernbesitz in Saalfeld starb, sollte ihr Leichnam eigentlich nach Brauweiler überführt werden, wie sie es verfügt hatte. Doch Erzbischof Anno II. von Köln ließ sie kurzerhand im von ihm gegründeten Stift St. Maria ad Gradus östlich des Domes beerdigen, um diesem die Einkünfte zu verschaffen, die Richeza für ihr Seelenheil nach Brauweiler bestimmt hatte. Noch Jahrzehnte musste sich die Abtei mit Anno und seinen Nachfolgern um diesen Besitz in Klotten an der Mosel vor Gericht streiten, bevor das Kloster schließlich im zähen und kostenintensiven Rechtsstreit siegte. Nur Richezas Gebeine verblieben entgegen ihrem Wunsch weiterhin in Köln, selbst nachdem St. Maria ad Gradus 1817 abgerissen worden war. Damals überführte man sie in den Dom, wo sie sich noch heute befinden, da sie als Selige verehrt wurde.

Krypta der Abteikirche St. Nikolaus.
Zwei der Schwestern Richezas sind ebenfalls als tatkräftige Bauherrinnen fassbar, ließen sie doch zwei der bedeutendsten Sakralbauten des 11. Jahrhunderts in Deutschland entstehen. Wie ihre übrigen Schwestern erreichten auch Ida und Theophanu die Jüngere, die nach ihrer kaiserlichen Großmutter benannt war, die für eine unverheiratete Frau des Mittelalters höchste Karrierestufe als Äbtissin eines reichsfreien adeligen Damenstiftes. Im Gegensatz zu einem Nonnenkloster lebte man hier nicht in abgeschiedener Klausur, sondern in repräsentativen Gebäuden rund um die Stiftskirche. Stiftsdamen wie Äbtissin besaßen räumliche Freizügigkeit und eigenen Besitz. Äbtissin zu sein bedeutete nicht allein, für die religiösen und organisatorischen Belange des Stiftes zuständig zu sein. Sie war zugleich Gerichtsherrin und Leiterin des umfangreichen Grundbesitzes, der die Einkünfte des Stiftes sicherte. Damenstifte waren auch ein privilegierter Ort weiblicher Bildung und Musik. Gerade in der ottonischen und salischen Epoche konnten die hochadeligen Äbtissinnen der Damenstifte, je nach Fähigkeit, auch bedeutende politische Macht besitzen und ausüben.
Ida wurde wohl durch den Einfluss ihres Bruders Hermann II., der 1036 Erzbischof von Köln geworden war, zur Äbtissin des Damenstiftes St. Maria im Kapitol berufen. Mit seiner Unterstützung begann sie um 1040 mit dem monumentalen Neubau der bis heute erhaltenen Stiftskirche, die zu den großartigsten Sakralbauten des 11. Jahrhunderts zählen darf. Auf den Grundmauern des römischen Kapitoltempels entstand ein basilikales Langhaus, dessen Seitenschiffe als Umgang um den kleeblattförmigen, säulengestützten Chor geführt werden – die perfekte Verbindung von Längs- und Zentralbau, die Maßstäbe in der romanischen Architektur des Rheinlandes setzte. Unter der gesamten Choranlage befindet sich eine große Krypta als weiterer liturgischer Raum.

Köln, St. Maria im Kapitol: Nord- und Ostkonche im Chor.

Köln, St. Maria im Kapitol: Blick von Norden durch den Kleeblattchor.
Auffällig sind die Bezüge von Idas Kapitolskirche zum gleichzeitig im Bau befindlichen Speyerer Dom und der Abteikirche Limburg an der Haardt. Letztere entstanden als großartige Dankesgaben der neuen Königsdynastie der Salier. Ihnen verdankte Hermann seine Ernennung zum Kölner Erzbischof, was diese Formenübernahme erklärt. Ihre eigene kaiserliche Herkunft ließen Ida und Hermann durch die besondere Gestaltung der Westempore ihrer Stiftskirche betonen, die sich vom Innenraum des Aachener Münsters ableitet, der Krönungskirche der deutschen Könige.

Köln, St. Maria im Kapitol: Blick nach Westen.
Anfang 1049 weihte der erste Reisepapst der Geschichte, der mit den Saliern verwandte Leo IX., den Kreuzaltar der Kapitolskirche. Dafür stifteten Ida und Hermann ein kostbares Kreuz, das sich bis heute im Kölner Diözesanmuseum erhalten hat. Die Weihe wurde wie ein Staatsakt im Beisein Kaiser Heinrichs III. und 79 Reichsbischöfen prachtvoll und öffentlichkeitswirksam gefeiert. Die Vollendung ihrer Kirche 1065 erlebte Ida nicht mehr, starb sie doch schon fünf Jahre zuvor.
Historische Luftaufnahme von St. Marien im Kapitol aus dem Bildarchiv der Kölnischen Rundschau.

Historische Ansichtskarte von St. Marien im Kapitol, um 1930.
Ein einmaliges Ausstattungsstück aus der Erbauungszeit der Kirche sind die beiden hölzernen Türflügel, die mit reichem Rankenwerk und Szenen aus dem Leben Jesu verziert sind. Farbreste lassen erkennen, wie comicartig bunt diese Szenen sich einst den Eintretenden präsentiert haben. Ursprünglich saßen diese Türflügel im Portal der nördlichen Konche und waren durch eine Vorhalle vor Verwitterung geschützt.
Köln, St. Marien im Kapitol: romanische Tür.
Detail der romanischen Holztür.
Theophanus gleichnamige Enkelin war von 1039 bis 1058 Äbtissin der Damenstifte Gerresheim und Essen. Auch sie initiierte einen großartigen Neubau, der heute als Domkirche des Bistums Essen dient. Während Langhaus und Chor in der Zeit der Gotik weitgehend erneuert wurden, blieb Theophanus eindrucksvoller Westbau des Essener Münsters vollständig erhalten. Genau wie ihre Schwester Ida bei der Westempore der Kölner Kapitolskirche griff sie das Vorbild des Innenraums der Pfalzkapelle Karls des Großen in Aachen auf, um ihre eigene kaiserliche Abkunft zu verdeutlichen. Noch eindrucksvoller als in Köln ließ Theophanu im Essener Westbau gleich drei Achsen der Aachener Emporengestaltung nachahmen.
Essen, Münster: Westbau und Paradies.
In der Schatzkammer des Essener Münsters blieben wertvolle Vortragekreuze und Reliquiare erhalten, die sie für den feierlichen Gottesdienst stiftete. Kaiser Heinrich III. verlieh ihr das Marktrecht für die noch dorfähnliche Siedlung vor den Essener Stiftsmauern, was nicht nur weitere Einnahmen, sondern auch einen wichtigen Schritt hin zur späteren Stadtentwicklung bedeutete. Es wird auch vermutet, dass Theophanu als Seelenheilstiftung für den Sterbeort ihrer Großmutter in der Pfalz Nimwegen die dortige Nikolauskapelle errichten ließ. Deren achteckiger Grundriss ist ebenfalls ein Verweis auf das Aachener Münster.
Karolingische Nikolaus-Kapelle in Nijmegen.
Dr. Jürgen Kaiser (geb. 1967) studierte in Marburg und Köln Kunstgeschichte, Mittelalterliche Geschichte und Provinzialrömische Archäologie. Er lebt in Köln als Sachbuchautor und Kulturreiseleiter. Gemeinsam mit dem Fotografen Florian Monheim veröffentlichte er im Greven Verlag Köln zahlreiche Bücher, zuletzt 2019 Macht und Herrlichkeit – die großen Kathedralen am Rhein von Konstanz bis Köln.










