Themenwelt

Fotografie und Postkarte

von Wolfgang Vollmer

Postkarten gelten nicht unbedingt als Smalltalk-Thema. Sie haben kein gutes Image. Ein Sammlerobjekt – irgendwo zwischen Briefmarken, Bierdeckeln und Streichholzbriefchen –, dessen Sammler sich eines rückwärtsgewandten, gefährlich nostalgischen Blicks verdächtig machen.

Aber ein Blick in die Historie lohnt sich: Bis zur Einführung der Postkarte um 1870 ist der verschlossene Brief die übliche Form der Nachrichtenübermittlung. Die einfache, unverpackte »Correspondenzkarte« erleichtert den Postverkehr und entspricht darüber hinaus dem Wunsch, für kurze Nachrichten auch nur ein geringeres Porto zu zahlen.

Die »Correspondenzkarte« ist ein fester Karton von 8,5×12,2 Zentimeter, der mit einem aufgedruckten Postwertzeichen versehen ist und zunächst allein von der Post vertrieben wird. Ihre ganze »Vorderseite« bleibt, wie beim Brief auch, der Adresse vorbehalten, die »Rückseite« ist für den persönlichen Text reserviert. Schon bald aber gibt die Post ihr Herstellungsprivileg auf und seither kann jeder eigene Postkarten (natürlich ohne Postwertzeichen) drucken und vertreiben. Wenig später erscheinen auf der Rückseite erstmals gezeichnete oder andere grafische Bildmotive, in das freie Feld daneben können einige knappe Zeilen geschrieben werden. Ab 1905 erlaubt es die offizielle Teilung der Adressseite, die Rückseite der Karte nun komplett mit einem Bild, einer Ansicht, einer Fotografie zu versehen. Die andere Hälfte der nun »unwichtigen« Adressseite bleibt jetzt noch für eine handschriftliche Information, das reicht! Das Bild hat endgültig den Text verdrängt. Die Kartengröße wird langsam vergrößert bis zum DIN-A6-Standardformat von 10,5×14,8 Zentimeter. Dabei ist es bis heute geblieben. In vielen Industrieländern wird bis zum Ersten Weltkrieg die Post in den Städten mindestens dreimal täglich zugestellt. Es ist also möglich, an ein und demselben Tag per Postkarte verbindlich einen Termin zu vereinbaren. Auch das Sammeln der Karten hat von nun an Stil, und für Postkartensammler, die »Philokartisten«, gibt es bald Vereine und Sammelalben.

Herstellung

Der Bromsilberdruck oder die Rotationsfotografie ist ein maschinelles Verfahren, das die eigentlich manuelle Arbeit des Vergrößerns im eigenen Fotolabor automatisiert. Dieses Kopierverfahren zur seriellen Herstellung von schwarz-weißen fotografischen Abzügen ist zu dieser Zeit die wichtigste Fertigungsmethode für Ansichtskarten. Beim Bromsilberdruck wird auf Rollen gewickeltes Fotopapier maschinell unter fest montierten Negativen hindurchgezogen, belichtet, entwickelt, fixiert und getrocknet. Obwohl beim Bromsilberdruck Bilder auf der Grundlage eines vervielfältigten Originalnegativs entstehen, zeichnet er sich dennoch durch besonders feine Grauzeichnung und Detailreichtum aus. Er ist von einem Fotohandabzug nur schwer zu unterscheiden und fällt bisweilen beim gleichen Motiv auch unterschiedlich aus.

Tourismus

Soll aber anlässlich eines spektakulären Ereignisses, wie beispielsweise eines Rheinhochwassers, den Schaulustigen vor Ort schnell eine Postkarte angeboten werden, erstellen Fotografen im eigenen Fotolabor auf Fotopapier einige Abzüge. Der Fachhandel bietet Fotopapier im Postkartenformat an, das rückseitig bereits mit der postalischen Einteilung versehen ist. Der bekannte Kölner Architekturfotograf Werner Mantz erzielt für sich einen ersten Erfolg, indem er handabgezogene Fotografien vertreibt, die dramatische Motive des Hochwassers in der Kölner Altstadt zeigen. Auch von weiteren Kölner Fotografen wie Hermann Claasen oder Eugen Coubillier sind originale Fotos im Postkartenformat zu anderen Themen zu finden. Finden sich auf der Rückseite einer Karte also keine Angaben zum Ort oder Verlag, zur Druckerei oder zu einem Handelsunternehmen, sondern nur die Linien zur Adresseintragung, so ist davon auszugehen, dass es sich um eine in geringer Auflage selbst produzierte Fotografie handelt.

 

Werner Mantz, Hochwasser in Köln, um 1920
Werner Mantz, Hochwasser in Köln, um 1920

 

Es geht aber noch schneller. Zwischen den 1910er und den 1930er Jahren gibt es in Großstädten ein interessantes Angebot: Touristen, die eine Stadtrundfahrt buchen, werden in einer Gruppenaufnahme vor der Abfahrt so fotografiert, dass jedes Gesicht gut zu erkennen ist. Nach Rückkehr zum Ausgangspunkt wird ihnen dann eine fertige Fotografie in Postkartengröße als Reisesouvenir angeboten. Die Auflage der Postkarte wird dann der Anzahl der Gäste entsprochen haben. Im Greven Archiv Digital befinden sich über 50 verschiedene solcher Aufnahmen von Gruppen in diversen Fahrzeugen, von der Pferdekutsche bis hin zum Panoramabus. Dieser Bilderbestand beschreibt im Grunde genau den kulturgeschichtlichen Aspekt einer Sammlung: produziert für die Verteilung, erfolgreich in die Welt getragen, nach privater Nutzung dem Handelsmarkt zugeführt, gekauft und nun am alten Herstellungsort fast hundert Jahre später wieder eingesammelt – und für eine vergleichende Untersuchung angeboten.

 

Höchstenbach's Kölner Fremden Rundfahrt, Silbergelatineabzug auf Postkarte
Höchstenbach's Kölner Fremden Rundfahrt, Silbergelatineabzug auf Postkarte

 

Professionelle Fotografie

Natürlich ist Fotografie immer eine Inszenierung. Der Anlass, der Auslösemoment, der Ausschnitt und die Bearbeitung des Bildes, alles wird ausgewählt, bestimmt und auf diese Weise nach den Vorstellungen des Fotografierenden gestaltet. Besonderes Augenmerk wird hier sicher auch auf einen verkaufsfördernden Aspekt gelegt, vielleicht wird die Szene zum Idealbild geschönt. Dennoch lassen sich Lebenswelten erkennen, bauliche und architektonische Veränderungen feststellen und einordnen. Diese Mischung aus Dokumentation und umgesetzter Bildvision bietet also genügend gesicherte Hinweise und Informationen zur abgebildeten Szene. Für die Aufnahme eines bestimmten Gebäudes beauftragen die Postkartenverlage die Fotografen oder übernehmen schon vorhandene Bilder. So finden sich manchmal die gleichen Abbildungen auch in Büchern, aber der speziellere, aktuellere Blick ist das Privileg der Postkarte.

Auch wenn das Bild nur eine Größe von circa 10×15 Zentimeter hat – es ist doch das Werk eines Berufsfotografen. Die technischen Bedingungen sind anspruchsvoll, die Großbildkamera wird das bildgebende Glasnegativ mit einer Größe von mindestens 9×12 Zentimeter belichtet haben, das dann nach den Regeln des Laboranten ausgearbeitet wird – kein schneller Amateurschnappschuss also und kein Zufallsergebnis, sondern das Resultat angewandter Fotografiekunst. Auch dem Fotografen ist klar, dass das Motiv in dieser kleinen Größe seine Wirkung erzielen muss. So wie der Maler ja vor dem Beginn des Malens die Bildgröße bestimmt, wird auch der Fotograf diesen Aspekt mitgedacht haben. Erfolgreiche Motive werden dann »Bestseller«, die nicht nur Souveniransprüchen genügen, sondern auch etwas erzählen und außergewöhnliche Eindrücke vermitteln. Besonders Aussichtspunkte, die der Tourist selbst gar nicht erreichen kann, sind beliebt und werden in ungezählten Varianten verkauft. Die Ansicht des Domes von der Westseite, vom Turm von St. Andreas aufgenommen, ist die erfolgreichste Ansichtskarte der Kölner Kathedrale, ja, ganz Kölns..

 

Anselm Schmitz, Blick auf die Nordwestfassade des Kölner Doms, um 1880

Anselm Schmitz, Blick auf die Nordwestfassade des Kölner Doms, um 1880

 

Diese Fotoaufnahmen sind also kleine technische und fotografische Meisterwerke aus einer vergangenen Zeit, manchmal in größerer Auflage, meistens in kleinerer, bisweilen Unikate. Es sind wertvolle Dokumente.

Gelaufen oder nicht?

Auf den Ansichtskartenbörsen in den Stadthallen der größeren Städte treffen sich zweimal im Jahr die Sammler, meistens ältere Herrschaften, und fragen stoisch die Händler, die hinter ihren enormen Kistenbergen voller Ansichtskarten stehen: »5042?«. Selbst nach über 25 Jahren mit neuen fünfstelligen Postleitzahlen haben beide, der Sammler und der Händler, immer noch die alte Ordnung beibehalten: 5042, das ist die alte Postleitzahl von Erftstadt. Dann wird das Suchergebnis in die Hand genommen, begutachtet und herumgedreht. Und dann scheiden sich die beiden Jägertypen. Der eine, der »Heimatsammler« braucht beides: »Die ist ja nicht gelaufen!« lehnt er empört ab. Ohne Poststempel und natürlich mit unbeschädigter Briefmarke ist für diesen Sammler die Karte nicht wirklich zuzuordnen und damit weniger wertvoll. Der gut lesbare Poststempel gibt Gewissheit über den Ort und den Zeitpunkt der Nutzung und beweist das tatsächliche Mindestalter. Der andere, der Bilderinteressierte, dreht zwar auch die Karte um, sucht aber eher neben der Ortsangabe den Namen des Fotografen, einen Verlag oder den Hersteller. Oft stört auch die postalische Nutzung als haptische Beschädigung. Man kommt sich also nicht in die Quere und beide gehen mit ihren neuen Fundstücken zufrieden nach Hause. Manchmal erzählen sie dann auf Partys begeistert von ihren Schnäppchen.

 

Historische Foto-Postkarten aus dem Kölner Fotoarchiv finden Sie hier.


Wolfgang Vollmer (geb. 1952), studierte Geodäsie und Künstlerische Fotografie. Er arbeitet mit Fotografie als Künstler, Dozent, Kurator und Sammler und lebt seit 1975 in Köln.