Themenwelt

Das Kölner Domjubiläum 1948

von Joachim Oepen

 

»Kölns Weckruf an das Abendland«, »Domjubiläum, ein Fest Europas« … – so titelten begeistert die Zeitungen im August 1948, als in Köln das Jubiläum der 700 Jahre zuvor erfolgten Grundsteinlegung zum Bau des Kölner Doms begangen wurde. Dabei hatte Köln seit dem 19. Jahrhundert bereits mehrere glanzvolle Domfeste erlebt, bei denen durchweg auch der zeitgeschichtliche und politische Hintergrund zum Vorschein kam. Das Domjubiläum von 1948 stellte indessen in vielerlei Hinsicht alle seine Vorgänger in den Schatten und erzielte seine Wirkungen weit über die festlichen Tage hinaus, was mit den Zeitumständen, aber auch mit der Ausgestaltung der Feierlichkeiten zusammenhing. Zudem hatte der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings (Amtszeit 1942–1969), seit 1945 auch Vorsitzender der deutschen Bischöfe, das Jubiläum sehr bewusst initiiert. Begleitet wurde es von einer internationalen Berichterstattung, und insbesondere im Verlauf der Schreinprozession entstanden Unmengen von Fotografien, deren Motive nahezu ikonografischen Charakter haben und die sich tief in das kollektive Bildgedächtnis nicht nur der Kölner einprägten.
Kaum jemand hätte zuvor gedacht, dass gut drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein solches Fest möglich war. Tatsächlich arbeitete man im Vorfeld mit Hochdruck daran, zumindest den Chor und das Querhaus des zwar unzerstörten, aber doch stark beschädigten Dom zu diesem Anlass benutzbar zu machen. Das Hauptschiff blieb zwar auch in den folgenden acht Jahren noch durch eine Wand abgetrennt, doch am Festtag konnte das erste Pontifikalamt seit dem Krieg gefeiert werden und erstmals erklangen auch wieder der »Decke Pitter« und die anderen Domglocken – auch davon waren die Menschen tief bewegt, sodass etwa die Passanten rund um den Dom ihre Hüte abnahmen.

 

W. Seeger, Menschenmassen vor dem Kölner Dom, 1948

W. Seeger, Menschenmassen vor dem Kölner Dom, 1948

 

Erteilung des Segens an die Bischöfe und Kardinäle durch den Kardinallegaten Clemente Micara, 1948

Erteilung des Segens an die Bischöfe und Kardinäle durch den Kardinallegaten Clemente Micara, 1948

 

Zum Festtag, dem 15. August als Tag der Grundsteinlegung des Doms im Jahr 1248, kamen auf Einladung von Kardinal Frings Kardinäle aus Wien, Mecheln, Utrecht, Paris und London, mehr als dreißig weitere Bischöfe aus den »Siegerländern« und aus Übersee sowie mit Kardinal Micara ein vom Papst entsandter Legat nach Köln. Mit seiner imposanten Erscheinung und unkomplizierten Art gewann er schnell die Sympathien der Kölner, die ihn als »Barockengel« bezeichneten. Die Teilnahme hoher ausländischer Kleriker bezeugte aber nicht nur die über die Zeiten von NS-Diktatur und Krieg hinweg bestehenden Verbindungen in der katholischen Weltkirche. Vielmehr galt sie den Menschen auch als ein deutliches Zeichen und als ein erster Schritt, mit dem die Deutschen, die sich zuvor noch mit dem Vorwurf einer Kollektivschuld konfrontiert wähnten, in die Gemeinschaft der Völker zurückkehrten.

 

Gang des Kardinallegaten Micara über die wiederaufgebaute Hohenzollernbrücke, 1948

Gang des Kardinallegaten Micara über die wiederaufgebaute Hohenzollernbrücke, 1948

 

Die Festwoche ist geprägt von den Grundsteinlegungen für zwei Siedlungen in Longerich und in Stammheim (Bruder-Klaus-Siedlung) durch Kardinal Frings, der Einweihung der Deutzer Brücke durch Kardinal Micara, einem Festakt in der Aula der Universität sowie einer großen Kundgebung im Stadion, bei welcher Kardinal Micara das Schlusswort zukommt. Insbesondere Fotografien von dieser Kundgebung, aber auch von der Prozession zeigen ein Meer von Bannern und Fahnen. Die Bildsprache dieser Aufnahmen wirkt auf den heutigen Betrachter befremdlich, scheint sie doch nahtlos anzuknüpfen an ähnliche Eindrücke aus der Zeit des Nationalsozialismus. Tatsächlich war eine solche triumphalistische Ästhetik keineswegs nationalsozialistisches Eigengut, sondern schon früher auch in anderen Teilen der Gesellschaft durchaus verbreitet. Daran meinte man nach 1945 nahtlos anknüpfen zu können.

 

Einzug der Fahnen in das Stadion, 1948

Einzug der Fahnen in das Stadion, 1948

 

Messe im Müngersdorfer Stadion, 1948

Messe im Müngersdorfer Stadion, 1948

 

Vielbejubelter Höhepunkt der Feierlichkeiten ist indessen die Schreinprozession am 15. August 1948: Vor St. Maria Lyskirchen sind am Rheinufer auf offenen Lastwagen der Dreikönigenschrein und acht andere kostbare Kölner Reliquienschreine aufgestellt – heute für jeden Restaurator und jede Restauratorin unvorstellbar –, von katholischer Jugend in weißen Hemden als Ehrenwache geschützt. Von dort aus zieht dann die Prozession mit dem päpstlichen Legaten Micara, der nach allen Seiten hin mit strahlendem Lächeln grüßt und die Menge segnet, mit dem Kölner Erzbischof Kardinal Frings und den vielen anderen Bischöfen sowie mit den Gebeinen der Kölner Heiligen in den prachtvollen Schreinen, die im Krieg gesichert waren und daher unzerstört geblieben sind, über den Alter Markt zum Dom – und das alles vor der Silhouette der in Trümmer gesunkenen Altstadt Kölns, daraus die Kathedrale hoch emporragend. Vorbei führt die Prozession an Menschenmengen, die auf Schuttbergen und in den Fenstern der Ruinen dem Geschehen beiwohnen.

 

Der Dreikönigenschrein bei der [Schrein]prozession am Alter Markt vorm Rathausturm und dem Kölner Dom, 15. August 1948

Der Dreikönigenschrein bei der [Schrein]prozession am Alter Markt vorm Rathausturm und dem Kölner Dom, 15. August 1948

 

Kardinal Frings während der Prozession, 15. August 1948

Kardinal Frings während der Prozession, 15. August 1948

 

Zuschauer der Prozession in einer Hausruine. 15. August 1948

Zuschauer der Prozession in einer Hausruine. 15. August 1948

 

Die Wirkung des Domjubiläums war immens, nicht nur hinsichtlich des gewaltigen medialen Echos. Gewiss auch bestärkt durch die wenige Wochen vorher durchgeführte Währungsreform schöpften die Menschen weit über Köln hinaus Hoffnung auf ein wiederbeginnendes normales Leben. So war der Blick nach vorne gerichtet, nicht auf zurückliegende Sorgen und Belastungen; für eine kritische Auseinandersetzung mit den Jahren des NS-Regimes waren die meisten Menschen noch nicht bereit. Vielmehr wurde das Kölner Domfest von 1948 zum Zeichen für den Lebensmut und den Wiederaufbauwillen der Bevölkerung in weiten Teilen Deutschlands. Immer wieder stellten Ansprachen das christliche Abendland in den Mittelpunkt und beschworen eine abendländische Völkerverständigung herauf, die Wochenzeitung DIE ZEIT verstand das Domjubiläum gar als »das Friedensfest Europas«.

 

Dr. Joachim Oepen (geb. 1963) ist Historiker und stellvertretender Leiter des Historischen Archivs des Erzbistums Köln, Mitherausgeber der Zeitschrift Geschichte in Köln und Lehrbeauftragter für Geschichte an der Universität zu Köln.