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Bilder einer Zwischenzeit
von Reinhard Matz und Wolfgang Vollmer
Der Krieg ist verloren, Köln hat einen unschätzbar hohen Preis für die deutsche Hybris gezahlt, Depression scheint noch immer über der Stadt zu liegen. Die Straßen auf diesen stimmungsvollen Fotografien sind zwar freigeräumt, und langsam kann sich der Blick wieder orientieren. Vieles liegt aber noch in Trümmern, manches wird repariert, notdürftig, als erster Behelf. Es wird auch schon neu gebaut, weniges ist bereits fertig. Die von den Briten 1946 errichtete und bereits 1951 wieder abgerissene Patton-Brücke ist zweimal zu erkennen. Die Trauernde von Gerhard Marcks (1949) steht in frischem Stein vor der Ruine von St. Maria im Kapitol. Eine Zeit der Verunsicherung, des Umbruchs und ungewisser Zukunftsaussichten.
Josef Remus, Gerhard Marcks' Die Trauernde, um 1950
Manche der Bilder sind zwischen 1947 und 1949 datiert, andere können nicht vor 1952 entstanden sein. Die Währungsreform hat also bereits stattgefunden, die Bundesrepublik war gegründet, und dennoch scheint die Euphorie des Nachkriegsaufschwungs in diesen Stadtaufnahmen von Köln noch fern. Tiefe Schwärzen dominieren die meisten Fotos, wechseln mit tristem Grau. Groß St. Martin ist kaum zu erkennen, von seiner markanten Silhouette zum Rhein hin steht nur noch ein Stumpf.
Josef Remus, Kriegszerstörtes Stapelhaus und Groß St. Martin, um 1950
Das Album, in dem diese Fotografien enthalten sind, ist der Fund einer prominenten Kölnerin aus dem Nachlass ihrer Eltern. Josef Remus heißt der Fotograf, er war Koch und Konditormeister in Bickendorf, seit seiner Jugend ein engagierter Fotoamateur, offensichtlich mit großem Interesse für seine Stadt. Wie in professionellen Architekturfotos üblich, hat er die Vertikalen der Bauwerke parallelisiert. Das war mit Kleinbild- und Mittelformatkameras seinerzeit nicht möglich, er muss eine Plattenkamera benutzt haben. Und sicherlich hat er den Aufwand eines Stativs auf sich genommen. Zur Belebung, wie auch zum Größenbeweis seiner Bildmotive hat er zuweilen seine Frau mit ins Bild gebracht; ohne jede Pose, fast wie zufällig. Kompositionen, Licht- und Schattenverteilungen, geschickte Überscheidungen und verschiedene Durchblicke verraten zudem einen geübten Blick für die Bildwirkung. Dennoch beschönigt der Fotograf nichts, will auch nicht fotografisch beeindrucken. Trotz einer gewissen Wehmut tritt er der dramatischen Stadtzerstörung mit dem Medium der Fotografie geradezu staunend, aber auch nüchtern und klar gegenüber, um diese deprimierende Nachkriegssituation zu bewältigen.
Josef Remus, An der Pantaleonsmühle, um 1950
Der Krieg hatte vor allem die Altstadt getroffen, sie galt zu 90 Prozent als zerstört, und wie die meisten Nachkriegsfotografen richtet Remus auf sie sein besonderes Augenmerk. Mit vorsichtigen, fast ehrfürchtigen Schritten nähert er sich den Resten, die von Groß St. Martin, dem Rathaus oder dem Stapelhaus noch stehengeblieben sind. Die Leere zwischen den Ruinen unterstützt noch die trostlose Wirkung mancher Bilder. Andererseits beruhigen Aufnahmen wie die der Schafe vor dem Messegelände oder der sonnenbeschienenen Parkbank mit Blick über den Rhein. Auch der Dom war schwer beschädigt und sollte erst 1956 wieder für Gottesdienste geöffnet werden. Aber er stand, seine Silhouette blieb erhalten, und so gab er den Kölnern Halt, Kraft zum Durchhalten, wie er auch in vielen Fotografien als Landmarke Orientierung stiftet – wenngleich er in Pfützen gespiegelt mehrfach auf dem Kopf steht.
Josef Remus, Weidende Schafe mit Blick auf den Kölner Dom, um 1950
Josef Remus, An der Burgmauer nach dem Regen, um 1950
Wir wissen heute, dass Köln damals ein rasantes Tempo der Stadtentwicklung an den Tag legte; es schlägt sich auch in diesem berührenden Konvolut von Fotografien nieder. Die Rodenkirchener Autobahnbrücke ist im Bau (1952–54), das 4711-Haus am Domkloster scheint schon fertig zu sein (1952). Und ein paar nonchalant in das Fotoalbum eingerückte Postkarten der lebendigen und unbeschädigten Stadt aus der Vorkriegszeit verstärken zudem den Eindruck einer Umbruchzeit. Es war eine kurze Phase der Gleichzeitigkeit von Ruinen und Neuanfang, von Depression und aufkeimender Hoffnung, und die Fotografien helfen uns, diese Zwischenzeit aus der Perspektive der Zeitgenossen zu verstehen.
Josef Remus, Blau-Gold-Haus 4711, 1952
Wenn man dem Fotografen damals hätte sagen können, dass seine 1956 geborene Tochter Henriette Reker im Jahre 2015 Oberbürgermeisterin dieser längst wiederbelebten Stadt werden würde, er wäre wohl ungläubig erschrocken und stolz – und hätte ihr sicherlich noch sehr viel mehr Fotografien als diese 58 hinterlassen.
Reinhard Matz / Wolfgang Vollmer
im April 2021

Blick ins Fotoalbum von Josef Remus, Original im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln. Foto: Nina Gschlößl
Alle Fotografien aus dem Album von Josef Remus finden Sie hier.
Reinhard Matz (geb. 1952), studierte nach einer Fotografenlehre Philosophie, Germanistik, Medienwissenschaft (M.A.) sowie künstlerische Fotografie. Er lebt seit 1975 in Köln und Berlin.
Wolfgang Vollmer (geb. 1952), studierte Geodäsie und Künstlerische Fotografie. Er arbeitet mit Fotografie als Künstler, Dozent, Kurator und Sammler und lebt seit 1975 in Köln.







