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Hausbesetzungen in Köln

von Benjamin Peterle-Pick

Selbst das prominenteste Gebäude der Stadt, der Kölner Dom, ist wiederholt Schauplatz dieses aufsehenerregenden Akts geworden: einer Besetzung. Die Praxis der Besetzung hat sich bewährt, zumindest dann, wenn es das Ziel war, ein bestimmtes Anliegen sichtbar zu machen. Es ist ein Vorgehen, das deutlich macht: »Wir sind hier! Wir haben ein Problem und fordern eine Lösung«. Menschliche Körper – meistens in größerer Zahl – an einem Ort, an dem sie nicht sein sollten, an dem sie nicht ignoriert werden konnten, erforderten eine Reaktion, und die Aufmerksamkeit der städtischen Öffentlichkeit war in der Regel gewiss. In Köln gab es zwar häufig Besetzungen, diese wurden jedoch nicht wie andernorts zu einem gewohnten Bild in der Stadt. Lokale Journalist:innen berichteten in Zeitungsartikeln und fotografierten das Geschehen. Die Kölner Geschichte der Besetzungen beginnt in den späten 1960er-Jahren und verläuft parallel zum Geschehen in anderen Städten der Bundesrepublik, gleichzeitig hat sie ihre eigenen Höhepunkte und lokalen Besonderheiten, zu denen sicherlich auch die Dombesetzungen gehörten.

Die Geschichte der Besetzungen war eng mit einer sich wandelnden Protestkultur sowie mit neuen sozialen Bewegungen verbunden und die Aktionen dienten oft auch als Indikator für soziale und politische Missstände. Die 1970er-und 1980er-Jahre waren die Hochzeit dieser Protestform und der Etablierung der Besetzung als eine aktivistische Praxis. Die Aktionen waren eingebettet in die bundesweite Strömung der Hausbesetzerszenen, die in noch prominenterer Form in Westberlin, Hamburg, Frankfurt, Freiburg und andernorts aktiv waren. Im Vergleich zu den Häuserkämpfen in Frankfurt oder Westberlin war die Situation in Köln jedoch zumeist weniger explosiv, vielleicht typisch für die rheinländische Stadt und die politischen Kämpfe, die dort ausgetragen wurden. Als Inspiration und Vorbild für die Formen des Protests diente immer wieder die Hausbesetzerszene in Westberlin. Besonders populär war die Besetzung des »Georg-von-Rauch-Hauses« 1971 in Berlin, das von der Band Ton, Steine, Scherben 1972 besungen wurde. Der »Rauch-Haus-Song« etablierte sich an vielen Orten als Protest- und Mottosong, besonders die Zeile »Das ist unser Haus« war eine oft zu hörende Parole. Auch in Köln wurde kurzerhand ein besetztes Haus zum »Ton, Steine, Scherben-Haus« umbenannt.

Seit den späten 1960er-Jahren hatte die Sozialistische Selbsthilfe Köln (SSK) das Geschehen um die Hausbesetzungen in der Domstadt dominiert. Die Gruppierung war 1969 entstanden, setzte sich in der Psychiatriekritik ein, protestierte gegen den Leerstand von Wohnungen und organisierte in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche Besetzungen und Protestaktionen. Die Mitglieder der SSK, zumeist aus Heimen entflohene Jugendliche sowie Sozialarbeiter:innen mit reformpädagogischer Orientierung forderten ein Tagegeld für die obdachlosen Trebegänger:innen. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, wurde im April 1973 sogar das Kölner Rathaus besetzt; die Jugendlichen blockierten das Amtszimmer des Oberbürgermeisters, um in direkte Verhandlungen zu treten, und hatten mit ihrer Aktion letztendlich auch Erfolg. Die SSK fand für ihre Aktionen prominente Unterstützung aus der Stadtgesellschaft, unter anderem Heinrich Böll und Günter Wallraff sammelten Geld und setzten sich für ihre Anliegen ein. In Häusern – etwa am Salierring, in Mülheim und in Ehrenfeld –, die zunächst besetzt waren, später erworben oder legal angemietet werden konnten, sind auch heute noch SSK-Gruppen aktiv.

Deutschlandweit waren spätestens seit den Studierendenprotesten 1968 Sit-ins, Blockaden und Besetzungen von Hörsälen und Rektoraten ein probates, gewaltfreies Mittel geworden, um sich Gehör für Forderungen zu verschaffen und die Universitäten zu Reformen zu bewegen. Inspiriert war diese Protestkultur von widerständigen Aktionsformen der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den USA.
In der BRD wurde diese Form des Protests schnell und vielfältig aufgegriffen. So gründeten Jugendliche in den 1970er-Jahren durch die Besetzungen leerstehender Altbauten an zahlreichen Orten freie Jugendzentren. Auch die ältere Generation nutzte die Besetzung als politisches Mittel: Um ihrer Forderung nach Schaffung neuer Kindergärten Nachdruck zu verleihen, besetzten Eltern in Köln 1970 einen Hörsaal und erreichten darüber direkte Verhandlungen mit dem Oberbürgermeister Theo Burauen.

Die Besetzungspraxis war eines der zentralen und gleichzeitig umstrittensten Mittel in dieser Zeit des gesellschaftlichen Auf- und Umbruchs, die mit erheblichen Spannungen in der Gesellschaft einherging. Die Frage des zivilen Ungehorsams und danach, wer sich das Recht herausnehmen durfte, einen Raum einzunehmen, der für andere Personen oder andere Zwecke geschaffen wurde, war und ist politisch, rechtlich, moralisch und sozial umstritten.

Die Hausbesetzungen blieben selten ohne Gegenwehr. Zwar konnten manche Besetzer:innen durch das Bezahlen geringer Mieten das Wohnverhältnis in die Legalität überführen und so in Zukunft relativ sicher an einem Ort bleiben. Viele Besetzungen trafen jedoch auf die Abwehrreaktionen der Besitzer:innen und des Staates. So kam es zu größeren Polizeieinsätzen, beispielsweise im August 1973 vor dem von der SSK besetzten Hotel Astor am Salierring.

Auch weitere Besetzungen von Altbauten in der Innenstadt, wie die an der Aachener Straße 1976 und an der Werder- und an der Gladbacher Straße 1977 durch die SSK, waren nicht von langer Dauer und wurden in der Folge geräumt.
Die oftmals mit Gewalt einhergehenden Polizeieinsätze waren für die Politik jedoch auch ein Problem, vor allem dann, wenn die Besetzer:innen breite Unterstützung aus der Nachbarschaft erfuhren und auch ihre Forderungen nach bezahlbarem Wohnraum auf Verständnis in großen Teilen der Stadtgesellschaft trafen. Es wurde daher versucht, Bilder von gewaltsamen Räumungen zu vermeiden.

Schon in den 1970er-Jahren war es den Besetzer:innen ein Hauptanliegen, den Leerstand anzuprangern. Die fehlgeleitete Sanierungspolitik, in deren Folge noch intakte Altbauten und damit ohnehin schon knapper Wohnraum immer wieder Firmenzentralen von Versicherungskonzernen und anderen Großunternehmen weichen mussten, wurde zunehmend auch in weiten Teilen der Bevölkerung in Frage gestellt. In ganz Westdeutschland war nun vermehrt die Rede von »Instandbesetzungen«, ein Schlagwort für diese Art der Hausbesetzungen, die sich gegen »Kahlschlagsanierung«, Verdrängung und Abriss wandten. Die Idee von einer »behutsamen Stadterneuerung«, bei der weniger stark durch Flächensanierung in bestehende, funktionierende Strukturen eingegriffen wurde und die sich auch finanziell nachhaltiger gestaltete, konnte jedoch nur langsam und partiell durchgesetzt werden.
Ab 1980 gab es in Köln eine neue Welle von Hausbesetzungen, oftmals von einer neuen Generation Hausbesetzer:innen durchgeführt, zu denen nun auch verstärkt Autonome und Punks zählten. Mit demselben Mittel wurden häufig auch unterschiedliche Ziele verfolgt. Neben der unmittelbaren Wohnungsnot und den damit verbundenen politischen Forderungen ging es um die Suche nach Orten, an denen sich Subkulturen frei von staatlicher Überwachung entfalten konnten.

In diese Zeit fällt die wohl bis heute bekannteste und größte Besetzung in Köln, die der leerstehenden Stollwerck-Schokoladenfabrik in der Kölner Südstadt. Nachdem der Standort für die Produktion aufgegeben und das große, innerstädtische Areal Gegenstand von Auseinandersetzung im Kölner Rat und von Bodenspekulation geworden war, besetzten am 20. Mai 1980 rund 600 Menschen die Fabrik. Die Besetzung dauerte 49 Tage an. In dieser Zeit besuchten zahlreiche Kölner:innen das Gelände, das einen Anziehungspunkt für eine bunte Mischung aus Punks, Künstler:innen, Autonomen und anderen subkulturellen Gruppen bildete. Die Besetzer:innen entwarfen Szenarien für die Zukunft des Geländes, es gab Kunstausstellungen und Theateraufführungen. Gleichzeitig war die Zeit der Besetzung auch von Konflikten zwischen den Bewohner:innen geprägt. Die Besetzer:innen mussten schließlich auf Druck der Stadt aufgeben und räumten das Gelände nach Verhandlungen am 6. Juli freiwillig. Der Großteil der Gebäude wurde in der Folge abgerissen.

Ein anderes Kapitel in der Geschichte der Hausbesetzungen in Köln war die Auseinandersetzung um die sogenannten Kaußen-Häuser. Der bundesweit bekannte und in Köln wohnende Immobilienspekulant Günther Kaußen hatte bis zu hunderttausend Immobilien, zumeist Altbauten in schlechtem Zustand, erworben, um deren Erhalt er sich zwar nicht kümmerte, deren Mieten er jedoch zumeist extrem erhöhte. Der skandalumwitterte »Prototyp des Spekulanten« übte diese Praxis seit den 1960er-Jahren bis 1985 in Deutschland und auch im Ausland aus und gefährdete damit viele Mieter:innen in ihrer Existenz. In Protestaktionen dagegen wurden manche dieser Häuser gezielt besetzt.

Die Szene der Besetzer:innen war keineswegs geschlossen, und auch die Ziele, die Methoden und der Stil der verschiedenen Gruppen waren häufig von Unterschieden geprägt. Besetzte Orte wurden vermehrt zu Rückzugsräumen für Menschen, die außerhalb des Systems standen und die sich dort zusätzlich radikalisierten. Die Räumung des Autonomen Zentrums (AZ) in der Weißhausstraße 1990, das dort 1986 in einem besetzten Haus gegründet wurde, hatte zur Folge, dass sich die autonomen Gruppen nun auch außerhalb der besetzten Räume stärker organisierten. Seitdem wurden aus den Reihen des AZs in Köln immer wieder leerstehende Gebäude besetzt.

Andernorts fanden Besetzungen im Stillen statt. In der Regel waren sie nicht mit politischen Forderungen verknüpft, sondern erfolgten individuell und hatten meist nur so lange Erfolg, wie sie nicht entdeckt wurden oder keinerlei größere Aufmerksamkeit erregten. Stets bestanden auch hier die Angst und die Unsicherheit, den Ort, der für eine Zeit ein Zuhause geworden war, wieder verlassen zu müssen. Oft agierten die stillen Besetzer:innen aus finanzieller Not heraus, nach Verlust der bisherigen Wohnung oder wenn die Alternative Obdachlosigkeit gewesen wäre. Für andere war die Besetzung eine Möglichkeit, dem Elternhaus zu entfliehen und die eigene Freiheit zu erproben. Einen seltenen Einblick in diese Praxis bieten die Bilder aus einer Reportage des damaligen Designstudenten Andreas Stobbe. Er fotografierte 1988 zwei Abiturienten, die sich in einem leerstehenden Gebäude der »Gottfried Hagen Accumulatoren Werke AG« in Humboldt-Gremberg an der Rolshover Straße eingerichtet hatten. Hier fanden sie Freiraum für Kreativität, Spaß, Musik und Kunst, abseits des Elternhauses. Die Bilder zeigen, wie die Besetzer auf Improvisation angewiesen waren, um eine Versorgung mit Strom und Wasser herzustellen.

Zu Hausbesetzungen kam es auch in den 1990er-Jahren und im neuen Jahrtausend noch. Generell waren die Versuche nun jedoch selten von langer Dauer, das Risiko von Strafen aufgrund einer verschärfteren Gesetzeslage sowie ein hartes und schnelles Vorgehen der Polizei schreckten viele Aktivist:innen ab und so verlor die Bewegung an Schwung und Unterstützung.
In jüngerer Vergangenheit haben in Köln die Versuche der Besetzung von leerstehenden Häusern, die Eigentum der Russischen Föderation sind, im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine im Sommer 2022 für Aufsehen gesorgt. Jedoch gingen auch diese Versuche nicht über eine punktuell erhöhte Aufmerksamkeit hinaus. Das Problem immer weiter steigender Mieten, der zunehmenden Obdachlosigkeit sowie der Verdrängung von weniger finanzstarken Mieter:innen bei gleichzeitigem Leerstand bleibt weiter bestehen.

Quellen:

Karl Christian Führer: Die Stadt, das Geld und der Markt. Immobilienspekulation in der Bundesrepublik 1960-1985, Berlin 2016.

Benjamin Peterle-Pick (geb. 1992) studierte in Freiburg und Köln Geschichte und Deutsche Literatur. Er war Teil des Teams des Greven Archiv Digital und in diesem Rahmen beteiligt an der Erfassung mehrerer fotografischer Bestände. Er lebt in Köln, ist journalistisch tätig und beschäftigt sich mit Stadtteilgeschichten und sozialen Bewegungen.