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Fotografische Spaziergänge mit Bernd Alois Zimmermann

Eine digitale Ausstellung

Zusammengestellt und kommentiert von Bettina Zimmermann

Biografische Skizze

Bernd Alois Zimmermann (1918–1970) zählt zu den bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Neben teils groß besetzten Orchesterwerken schrieb er Kammermusik sowie eine beträchtliche Anzahl Bearbeitungen und Arrangements für den Rundfunk (mit dem WDR als wichtigem Auftrag- und »Brötchengeber«), darunter zahlreiche Hörspielmusiken. Auch Jazz findet sich in seinem Werk, und seine Liebe zum Tanz drückt sich in etlichen Stücken aus, die er als Ballettmusik komponiert hat.
Eines seiner wichtigsten Werke ist die Oper »Die Soldaten«. Sie wurde 1965 im Kölner Opernhaus mit dem Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Michael Gielen uraufgeführt und machte ihn anschließend auch international bekannt. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wurde sie nicht nur in zahlreichen deutschen Städten in unterschiedlichen Inszenierungen auf die Bühne gebracht, sondern ebenso in der Schweiz, in Österreich, Holland, Belgien, Frankreich, Spanien, Italien, den USA, Russland, Japan und Argentinien.
»Die Soldaten« erleben nun im Januar 2024 in den Philharmonien von Köln, Hamburg und Paris konzertante beziehungsweise halbszenische Aufführungen, erneut mit dem Gürzenich-Orchester, nun unter der Leitung seines gegenwärtigen Kapellmeisters, des Kölner Generalmusikdirektors François-Xavier Roth.

Geboren wurde Zimmermann im heute zu Erftstadt gehörenden Dorf Bliesheim in der Voreifel als Sohn eines Stellwerkmeisters bei der Eisenbahn und einer Hausfrau; er war das zweite von drei Kindern. Seine Gymnasialzeit verbrachte er als Internatsschüler im Hermann-Josef-Kolleg am Salvatorianerkloster Steinfeld bei Urft in der Eifel, sein Abitur legte er am Apostelgymnasium in Köln ab. Fast unmittelbar danach wurde er zunächst zum Arbeitsdienst und im Anschluss daran sofort zum Kriegsdienst eingezogen, den er als Meldereiter bei der Kavallerie in Frankreich, Polen und Russland absolvierte. Nach zahlreichen, zum Teil langen Lazarettaufenthalten wurde er Ende 1942 als »zum Wehrdienst untauglich« erklärt. Zwischen 1943 und 1947 studierte er (mit einigen kriegsbedingten Unterbrechungen) Schulmusik und Komposition in Köln. Hier verbrachte er auch den größten Teil seines Lebens; man kann ihn also mit Fug und Recht als »Kölner« bezeichnen – wobei ihm wahrscheinlich »Rheinländer« besser gefallen hätte.
Freundschaftlich verbunden war er auch mit einem weiteren Kölner: mit dem Schriftsteller Heinrich Böll. Seit den 1950er Jahren bis Anfang der 1960er besuchten sich die Familien Zimmermann und Böll – beide mit jeweils drei Kindern – häufiger.

Die lokale Verbundenheit Zimmermanns mit dem Rheinland und Köln stand jedoch nicht seiner ausgeprägten Reiselust entgegen, die ihn – oft zusammen mit seiner Familie – nach Italien, Frankreich, Dänemark, in die Schweiz, nach Österreich und immer wieder an die Nordsee führte.
Zweimal ermöglichte ihm das Stipendium des Rompreises, in der Villa Massimo in Rom leben und arbeiten zu dürfen: das erste Mal 1957 für knapp sechs Monate, davon den größten Teil gemeinsam mit seiner Frau; das zweite Mal 1963/64 ein knappes Jahr lang, diesmal mit seiner Frau und den (damals) zwei Kindern. Beide Romaufenthalte, die er als großes Glück empfand, waren für ihn und sein kompositorisches Schaffen immens wichtig, vor allem der zweite, der ihm die Fertigstellung seiner Oper »Die Soldaten« ermöglichte. Italien blieb zeit seines Lebens Sehnsuchtsort für ihn, insbesondere Rom mit der Villa Massimo, aber auch das Dorf Olevano Romano mit der dort gelegenen Dependance der Villa Massimo, der Casa Baldi, die er wegen der dortigen idealen Arbeitsbedingungen schätzte.
Sein Lebens- und Arbeitsmittelpunkt blieb jedoch Köln. Ab Anfang der 1950er Jahre galt es, seine wachsende Familie zu ernähren, was die prekäre Situation eines »freischaffenden« Komponisten kaum möglich machte. Nach jahrelangen Auftragsarbeiten für den Rundfunk bekam er schließlich 1958 einen Lehrauftrag an der Kölner Musikhochschule, an der er dann zunächst als Hauptfachlehrer, später als Professor und Leiter einer Hochschulklasse für Komposition unterrichtete sowie ein Seminar für Hörspiel-, Film- und Bühnenmusik leitete.
In seinen letzten drei Lebensjahren wohnte er mit seiner Familie in Großkönigsdorf bei Köln (heute Frechen-Königsdorf).

Publikationen mit umfassenden Informationen zu Zimmermanns Leben und Werk

Henrich, Heribert. (2013). Bernd Alois Zimmermann Werkverzeichnis: Verzeichnis der musikalischen Werke von Bernd Alois Zimmermann und ihrer Quellen. Mainz.

Konold, Wulf (Hrsg.). (1986). Bernd Alois Zimmermann. Dokumente und Interpretationen. Köln.

Zimmermann, Bernd Alois. (2020). Intervall und Zeit, herausgegeben von Rainer Peters (2., vollständig überarbeitete und erweiterte Ausgabe). Hofheim und Mainz.

Zimmermann, Bettina. (2018). con tutta forza. Bernd Alois Zimmermann. Ein persönliches Portrait. Dokumente, Briefe, Fotos, Zeitzeugen. Hofheim.

Zu Zimmermanns Fotografien

Zu fotografieren begann Zimmermann mit dem Beginn seines Ehe- beziehungsweise Familienlebens Anfang der 1950er Jahre. So verwundert es nicht, dass ein erheblicher Teil seines fotografischen Nachlasses aus Familien- und Reisefotos besteht, angefertigt zum Zwecke der Dokumentation und als Erinnerungshilfe (»Erinnerungsfotos«). Das war vielleicht ein Grund, aber sicherlich nicht der wichtigste Anreiz zum Fotografieren, das ihn – über die Jahre in unterschiedlichen Gewichtungen – bis zu seinem Lebensende begleitete, und das ungeachtet seines von Kindheit an schlechten Sehens, das sich im Laufe seines Lebens noch verschlimmerte.
Musik, Tanz, Theater, in gewisser Weise auch Film sind Zeit-Künste: Sie finden in der Zeit statt, sie arbeiten mit ihr als »Werkstoff« (Zeitdehnung, Zeitraffung, Simultaneität etc.) und erzeugen auf je eigene Weise ein bestimmtes Zeitgefühl, Zeiterleben (beim Hören, Zuschauen, Ausüben). Und: Sie alle – in besonderer Weise Musik und Tanz – sind dem Vergehen unterworfen. Ein Foto hingegen stemmt sich gegen das Vergehen (und Vergessen), indem es gleichsam die Zeit anhält und einen winzigen Ausschnitt aus ihr »auf ewig« einfriert. Als Komponist und »Zeit-Künstler« scheint Zimmermann an der Fotografie unter anderem auch dieses Gegenteil des (Ver)Fließens gereizt zu haben.

Durch eine Kameralinse auf Natur, Menschen, Landschaften, Gebäude zu blicken mit dem Ziel, sie auf ein Foto zu bannen, bedeutet ein aufmerksames Hinsehen und Wahrnehmen und damit vielleicht auch ein intensiveres »Sich-Aneignen«, als es durch bloß flüchtiges Anschauen möglich ist: eine Form des Sich-Vertiefens in den Gegenstand des Interesses (ein Mensch, eine Landschaft etc.), die sich mit Hilfe des Fotos sogar vielfach fortsetzen lässt, denn ich kann das Bild immer wieder aufs Neue anschauen. So betrachtet sind Fotografieren und Zeichnen entfernt miteinander verwandt.
So war ein weiterer nicht unwesentlicher Aspekt seines Fotografierens sicherlich auch der, sich mit der Kamera ein Instrument an die Hand zu holen, um dem seit seiner Jugend bestehende Interesse an Bildender Kunst nachzugehen und als »Augenmensch« (nur scheinbar ein Widerspruch zu seinem schlechten Sehvermögen) auch seiner Liebe zum Visuellen Raum zu geben. Und dies ohne die Bürde seines sonst so hohen künstlerischen Anspruchs an sich selbst.
Zimmermanns fotografische Ambitionen gleichen also keinesfalls denen eines professionellen Fotografen, der sein Metier auf hohem technischen Niveau als Kunst betreibt. Und doch schaute er mit den Augen eines Künstlers auf die Welt – und durch die Kameralinse. Das beeinflusste die Wahl seiner Motive, die Bestimmung von Bildausschnitten oder auch die Häufigkeit, mit der er bei ein und demselben Motiv hintereinander auf den Auslöser drückte (wollte er da eigentlich filmen, oder war es »nur« die Suche nach dem einen guten, dem besten Bild?). Insofern erzählen seine Bilder sicherlich nicht nur etwas über ihn als Menschen, sondern auch etwas über ihn als Künstler. Ob sich Bezüge zwischen seinen Fotos und seinem kompositorischen Werk herstellen lassen, diese Frage ist auf den ersten, flüchtigen Blick nicht zu beantworten, aber durchaus eine Überlegung wert.
Ein heute womöglich etwas kurios anmutender Nebenaspekt und praktischer Nutzen seines Fotografierens soll nicht unerwähnt bleiben: Zimmermann machte von einigen wenigen seiner handgeschriebenen Partituren Fotos, um – wie man heute sagen würde – »Sicherungskopien« von ihnen herzustellen, beispielsweise wenn er auf Reisen war und das handschriftliche Original nicht zu einem Kopisten geben konnte. Copy-Shops gab es zu seinen Lebzeiten nicht.

Zu Bernd Alois Zimmermanns fotografischer Praxis

Welchen Fotoapparat Zimmermann verwendete, lässt sich heute nicht mehr herausfinden – neben den erhaltenen Negativen belegt aber auch eine auf einigen Fotos sichtbare Lederhülle mit Tragriemen, dass es sich um eine Kleinbildkamera gehandelt hat. Den mit Abstand größten Teil seiner Bilder fotografierte er mit Rollfilmen in Schwarz-Weiß, sehr wenige in Farbe, und Dias finden sich im Nachlass überhaupt nicht. Dieser umfasst 193 belichtete Rollfilme mit jeweils durchschnittlich 36 Aufnahmen. Die originalen Negativstreifen oder -rollen der Filme liegen im Bernd-Alois-Zimmermann-Archiv der Akademie der Künste, Berlin. Sie wurden auf Betreiben der Akademie vor einigen Jahren sämtlich digitalisiert.
Zimmermann bewahrte seine belichteten Negativstreifen sorgfältig in den damals üblichen, ziehharmonikaartig faltbaren Pergaminhüllen auf, die auf ihrer papiernen Außenseite beschriftet werden konnten: eine sehr praktische Negativ-Kartei, die er zum Teil akkurat mit Kurzinformationen zu Orten, Daten sowie Motiven führte und in der sich nahezu alle seiner nachgelassenen Filme befanden.
Das Fotogeschäft seines Vertrauens war Foto Steins auf der Hohe Straße 117, nicht weit vom Funkhaus am Wallrafplatz. Im Aufdruck auf den Pergaminhüllen von Zimmermanns Negativ-Kartei warb es für sich mit der Zeile: »Ihr Kleinbildspezialist. Fotohaus Steins. Das Haus für anspruchsvolle Stammkunden« – und das war Zimmermann tatsächlich über viele Jahre: Er ließ dort fast alle seine belichteten Filme entwickeln und Vergrößerungen von Bildern anfertigen. Beinahe für jeden Film bestellte er Kontaktstreifen (später Kontaktbögen), anhand derer er entschied, von welchen Fotos er Papierabzüge in Auftrag geben wollte. Oft zeichnete er auf dem Kontaktstreifen mit Stift und Lineal genauestens ein, welcher Ausschnitt des Bildes abgezogen werden sollte. Auch die Größe der Abzüge, ob mit oder ohne Rand, ob matt oder glänzend und welches Papier verwendet wurde — all das war ihm wichtig.

Zum Aufbau der digitalen Ausstellung

Als Kuratorin dieser Ausstellung möchte ich mich an dieser Stelle kurz vorstellen: Ich bin Bettina Zimmermann, die Tochter von Bernd Alois Zimmermann. Seit vielen Jahren betreue ich seinen fotografischen Nachlass und bin dementsprechend vertraut mit den (weiter oben bereits erwähnten) 193 Kleinbildfilmen.

Aus den knapp 7000 Fotos werde ich eine begrenzte Auswahl treffen, die im Laufe der kommenden Monate hier zu einer digitalen Ausstellung anwachsen soll: ein work in progress, das einen kleinen Einblick in die für einen Komponisten vielleicht unvermutete Betätigung als (Amateur-)Fotograf geben möchte. Wenn Zimmermann auch in erster Linie Komponist war, so war er doch zugleich auch aufmerksamer Zeitzeuge, neugieriger Reisender, Ehemann und Vater, Kölner respektive Rheinländer, Flaneur und eifriger Spaziergänger.
In meine Auswahl nehme ich zum Teil auch »missglückte« (also unscharfe, verwackelte oder nicht optimal belichtete) Fotos mit hinein, wenn das Motiv oder der dokumentarische Wert dies rechtfertigt.

Die »Fotografischen Spaziergänge«, zu denen diese Ausstellung einlädt, führen an verschiedene Orte Kölns und der Voreifel in den 50er und 60er Jahren, nach Rom und andere Orte in Italien und möchten Betrachterinnen und Betrachter dort an Zimmermanns Blicken auf Landschaften, Bauwerke, Städte und Menschen teilhaben lassen.

Aus Anlass der drei konzertanten Aufführungen seiner Oper »Die Soldaten« im Januar 2024 in Köln, Hamburg und Paris soll der erste der Spaziergänge in den Großen Sendesaal des WDR in Köln führen: Dort hat Zimmermann im Februar und März 1965 während der Schallplattenaufnahmen seiner Oper mit dem Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Michael Gielen 17 Fotos gemacht.

Bettina Zimmermann, Köln, Januar 2024

Schallplattenaufnahme der Oper »Die Soldaten«, Köln 1965, WDR – Großer Sendesaal, Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Michael Gielen

Die Tonaufnahmen fanden nur kurze Zeit nach der Uraufführung (15. Februar) am 21./22. Februar und am 2./3.März 1965 statt. Alle Fotos, die Zimmermann während dieser Tage aufnahm, sind sehr dunkel, was er mit großer Wahrscheinlichkeit nicht beabsichtigt hat. Trotz ihrer fast »nächtlichen« Schwärze hat diese Serie über den dokumentarischen Wert hinaus durchaus auch einen fotografischen Reiz, einen atmosphärischen ohnehin. Die komplette Serie umfasst 17 Fotos, von denen hier 15 gezeigt werden.

Rom, Olevano Romano, Köln - hier arbeitete Zimmermann zwischen 1958 und 1964 an der Oper »Die Soldaten«

In der Zeit zurückwandernd, führen uns die folgenden Spaziergänge zunächst nach Italien, wo Zimmermann 1963/1964 als Stipendiat in der Villa Massimo in Rom und in der Casa Baldi im Dorf Olevano Romano lebte und an der Fertigstellung seiner Oper »Die Soldaten« arbeitete. Im Anschluss daran kehren wir in die 1950er Jahre und nach Köln zurück.

Rom 1963/64

Olevano Romano 1964

Köln 1950er Jahre

Bettina Zimmermann, 1952 in Köln geboren, studierte Ethnologie, Theater- und Filmwissenschaften sowie Germanistik. Ihre Expertise erstreckt sich über Freies und experimentelles Theater, Tanztherapie und langjähriges Engagement als Deutschlehrerin für geflüchtete Menschen.
2018 veröffentlichte sie den Band con tutta forza. Bernd Alois Zimmermann. Ein persönliches Portrait von Bettina Zimmermann. Dokumente, Briefe, Fotos, Zeitzeugen, wolke verlag, Hofheim.

Eine Kooperation mit der Akademie der Künste, Berlin.

Logo der Akademie der Künste, Berlin