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Am 6. Dezember 2024 wurde die Kölner Kirche St. Pantaleon nach einer jahrelangen umfangreichen Sanierung wiedereröffnet. Professor Anton Legner, der legendäre Direktor des Kölner Schnütgen-Museums, kennt die Kirche sehr gut. Hier verrät der 1928 in Südböhmen geborene Kunsthistoriker, warum er St. Pantaleon seit Jahrzehnten besonders eng verbunden ist.
Von Wera Reusch
„Seit wir in Köln lebten, gingen Rosa und ich bei St. Pantaleon gern ein und aus. Wir spazierten dann durch das Südtor der alten Klosteranlage auf die Straße. Ein Korbflechter saß dort vor seinem kleinen Geschäft, das er sich im Überrest eines Gebäudes eingerichtet hatte, das im Krieg zerstört worden war. Vom Anblick des Westwerks in der Grünanlage genauso angetan wie ich, meinte Rosa immer: ‚Hier möchte ich wohnen!‘“
Anton Legner zog mit seiner Frau Rosa 1970 von Frankfurt am Main nach Köln, um die Leitung des Schnütgen-Museums zu übernehmen. Als Museumsdirektor war er in den folgenden zwei Jahrzehnten für große Ausstellungen verantwortlich, die Hunderttausende Menschen für das Mittelalter begeisterten. Als Forscher widmete er sich nicht zuletzt den romanischen Kirchen der Stadt, die im Krieg starke Schäden erlitten hatten und deren Wiederaufbau erst 1985 abgeschlossen war.
St. Pantaleon, in der südlichen Altstadt gelegen, ist eine der ältesten Kirchen Kölns und weist eine architektonische Besonderheit auf: Es gibt ein Westwerk, also einen eigenständigen Bau, der dem Kirchenraum vorgelagert ist. Darin ähnelt die Kirche dem Aachener Dom oder der Stiftskirche Corvey, die zum Unesco-Weltkulturerbe zählen.
Das gewaltige Westwerk von St. Pantaleon sollte im Leben von Rosa und Anton Legner schon bald eine wichtige Rolle spielen.
„‚Komm‘, sagte Rosa eines Tages zu mir, als sie in unserer Wohnung am Karolingerring frühmorgens die Zeitungsangebote durchsuchte. ‚Wir müssen fort, ich habe unsere neue Bleibe gefunden!‘ Am Pantaleonsberg 7, direkt gegenüber dem Westwerk von St. Pantaleon. Wir eilten also zur künftigen Hausverwaltung, die nur interessierte, ob wir ein Auto besäßen, denn die zur Wohnung im dritten Stock gehörende Garage sei bereits verkauft worden. Da wir dies verneinen konnten, stand unserem Einzug ins neue Haus nichts mehr im Wege. Dem fehlenden Auto sei Dank! Nun hatten wir beim Blick aus dem Fenster stets das Westwerk vor Augen, das schön ist zu jeder Jahreszeit, zur Baumblüte wie im Winterschnee.“
Anton Legner lebt noch immer in der Wohnung am Pantaleonsberg, auch wenn er das Westwerk inzwischen alleine betrachten muss, denn seine Frau Rosa starb im Jahr 2020. Kurz zuvor hatten die beiden in St. Pantaleon ihre Gnadenhochzeit gefeiert, wie Anton Legner in seinen Memoiren Von Prag nach Köln erzählt.
Doch nicht nur ihm bietet sich ein wunderschöner Blick auf die Kirche, sondern auch den Passanten, die am Park entlang der Straße Am Weidenbach vorbeispazieren. Denn im Gegensatz zu vielen anderen romanischen Kirchen Kölns, die komplett von Straßen und Häusern umzingelt sind, steht St. Pantaleon weitgehend frei und lässt die Ausdehnung des Klostergeländes im Mittelalter zumindest erahnen.
„St. Pantaleon liegt in einem Areal großer Würde und Ruhe. ‚Einen stillen und vom Getümmel des städtischen Treibens abgelegenen Ort‘ nannte es schon Ruotger in seiner Vita Brunonis. Er schildert darin das Leben und Wirken von Erzbischof Bruno, der in seiner Amtszeit von 953 bis 965 an St. Pantaleon eine Benediktinerabtei gründete und beschloss, die damals verfallene Kirche neu aufzubauen.“
„Heute kann der ‚stille Ort‘ mitunter auch recht lebhaft werden, erfüllt von Kinderstimmen aus der Schule von nebenan oder vom Jubel einer froh gestimmten Menschenmenge, wie am 19. August 2005, als Papst Benedikt XVI. St. Pantaleon besuchte. Jubel herrschte bereits mehr als tausend Jahre zuvor, im Jahr 955, als Abt Hadamar von Fulda Erzbischof Bruno das erzbischöfliche Pallium aus Rom überbrachte: „Von überall her strömte die Masse jubelnd zusammen; alles sammelte sich dann in der Vorstadt an dem altheiligen Ort, wo die Kirche unseres ehrwürdigen Märtyrers stand, noch schmucklos und dem Einsturz nahe‘, heißt es in der Vita Brunonis.“
St. Pantaleon sei das „Prestigeprojekt“ Brunos gewesen, stellt der Historiker Karl Ubl in seinem Buch Köln im Frühmittelalter fest. Der mächtige Erzbischof, Sohn von König Heinrich I. und Bruder von Kaiser Otto I., gründete auch die Kölner Klöster St. Andreas und Groß St. Martin, doch wollte er in St. Pantaleon begraben werden:
„Erzbischof Bruno liegt in der Krypta, in einem Sarkophag aus rotem Sandstein und ‚erwartet unter dem Schutz jenes frommen Märtyrers den Tag des Jüngsten Gerichts und die Herrlichkeit der künftigen Auferstehung‘, wie Ruotger schrieb. Nach dem Einsturz der alten Kirche und der Errichtung des großartigen Neubaus erhielt Bruno sein Grab unter dem Altarraum: ‚Under den hohen altair, mer beneden in die cruft mit einer bernender lampen, dae dat in hogher wirdicheit bewart wird van den hilligen vederen desselven cloisters‘, wie es in der Koelhoffschen Chronik aus dem Jahr 1499 heißt.“
Bereits kurz nach seiner Ernennung zum Kölner Erzbischof hatte sich Bruno in Rom um Reliquien des Märtyrers bemüht, nach dem St. Pantaleon benannt worden war. Diese erhielt er auch im Jahr 955 gemeinsam mit dem Pallium. Doch waren dies nicht die einzigen Stücke, die er nach Köln holte. Anton Legner zitiert in seinem Buch Kölner Reliquienkultur folgende Passage aus der Vita Brunonis: „Leichname der Heiligen, Reliquien und andere Denkmale sammelte er von überall her, um für die Seinigen mehr und mehr Gönner und Fürsprecher zu gewinnen.“ Was uns heute fremd erscheint, beschreibt Anton Legner als „eine oft wiederkehrende Mentalität der Zeiten“:
„Die ‚sancta rapina‘, der ‚heilige Raub‘, die ‚andächtige Beraubung‘, der ‚lobwürdige Diebstahl‘ machen einen Teil der Geschichte der mittelalterlichen und auch der nachmittelalterlichen Reliquienkultur aus. Sie zeigt viele Gesichter. Die lobende Darstellung von Ruotger in der Vita Brunonis ist nur eines dieser Gesichter.“
Die Gebeine des englischen Märtyrers Albanus, in Köln Albinus genannt, machte Kaiserin Theophanu (960-991) der Kirche zum Geschenk. Doch verdankt St. Pantaleon der berühmten Kaiserin noch viel mehr: Aufgrund ihrer Förderung wurde das Kirchenschiff erweitert und das monumentale Westwerk errichtet. Die byzantinische Prinzessin war als junges Mädchen 972 in Rom mit Otto II. vermählt worden. Nach dem frühen Tod des Kaisers regierte sie das Reich zehn Jahre lang. Sie hatte eine enge Beziehung zu St. Pantaleon und wollte deshalb dort begraben werden.
„Kaiserin Theophanu wechselte mehrfach die irdische Ruhestätte in ihrem Gotteshaus, St. Pantaleon. Nun liegt sie wieder in ihrem Westwerk, in der ‚Theophanu-Kapelle‘, in einem Sarkophag aus weißem griechischen Marmor, den der Bildhauer Sepp Hürten im Jahre 1965 schuf. Im Zuge der Generalsanierung erhielt die Kapelle jetzt ein neues von Maria Fernández Ortiz gefertigtes Bodenmosaik aus rund einer Million handgefertigten Steinen, das den Sarkophag kunstvoll umgibt.“
Nach Theophanus Tod wurde St. Pantaleon mehrfach baulich verändert. Ansichten aus dem 17. Jahrhundert verdeutlichen, wie die Klosteranlage im Barock aussah.
„Innerhalb der Klostermauern gab es einen Weingarten, und Pilger zogen zur Kirche. Eine um 1660 entstandene Ansicht aus dem Skizzenbuch von Justus Vingboons zeigt auch, dass die Fassade mit Skulpturen geschmückt war. Näherte man sich der mauerumfriedeten Abtei, dann sah man schon von Weitem in den Nischen des ottonischen Westwerks überlebensgroße Statuen stehen: die Majestas Domini und zu Füßen Christi Pantaleon und Albinus."
Doch nicht nur dem Westwerk, das er täglich vor Augen hat, gilt Anton Legners Aufmerksamkeit. Ein Ort der Kontemplation sind für ihn auch die Reliquienschreine von Albinus und Maurinus im Inneren der Kirche.
„Oft saß ich mit Rosa vor den beiden Reliquienschreinen, die an ihrem Ort beim Altar stehen, seit sie aus der einstigen Schatzkammer herabgebracht wurden. Die beiden Schreine von Albinus und Maurinus fesselten uns immer auch wegen ihrer Bergkristallkronen. Im Jahre 1186, zwei Jahrhunderte nach der Schenkung der Reliquien durch Theophanu hatte Albinus einen jener prachtvollen Särge erhalten, die während der größten Zeit der Kölner Reliquienschreinkunst den Heiligen in den Kirchen der Stadt gebaut wurden. Auf einer der beiden Stirnseiten seines goldenen Hauses erschien Albinus zwischen dem hl. Germanus und der Kaiserin Theophanu, versehen mit der Inschrift: ‚Dieser anmutige Ort umschließt den verehrten Körper, den England nach Rom, den Rom nach Agrippa gebracht hat.‘ Auf der einen Dachseite des Schreins zeigen Reliefs Bilder aus dem Leben und der Passion Christi, auf der anderen sieht man die Vita und das Martyrium des englischen Erzmärtyrers. Auch die Sieben Gaben des Heiligen Geistes in der Gestalt von Tauben und Personifikationen der Tugenden in wunderbaren Grubenschmelzen schmücken das Haus des Heiligen.“
Pilger, die nach Köln kamen, suchten auch den Reliquienschrein des Albinus auf. In seinem Buch Kölner Heilige und Heiligtümer zitiert Anton Legner den italienischen Chronisten Antonio de Beatis, der 1517 gemeinsam mit Kardinal Luigi d’Aragona in der Stadt weilte: „In St. Pantaleon, der Kirche der Benediktiner, ist der Leib des hl. Albinus aus England mit Fleisch und Gebeinen; der Kardinal und wir alle sahen ihn.“ Das Sehen ist hier wörtlich zu verstehen:
„Im späten Mittelalter wurde eine der beiden Langseiten in ganzer Breite zum Herabklappen eingerichtet, damit die Menschen den Leib des Heiligen und gleich über ihm in goldenen Bildern auch sein Martyrium mit Ehrfurcht und Andacht betrachten konnten. Das war Teil eines großen historischen Prozesses, der in jener Epoche erfolgte – vom verborgen gehaltenen zum sichtbar gemachten Heiltum. Ein Rautengitter verhinderte den Diebstahl von Körperteilen oder gar des ganzen Leibes.“
Aufwendig gestaltet ist auch der Maurinusschrein, der wenige Jahre vor dem des Albinus gefertigt wurde:
„Die Gebeine des Maurinus wurden im Jahre 966 beim Neubau der Kirche aufgefunden; sie lagen in einem Steinsarkophag, auf dessen Deckel stand, dass der Abt im Atrium der Kirche den Märtyrertod erlitten habe. Um 1170 erhielt der hl. Maurinus dann diesen Reliquienschrein. Eine der Inschriften besagt, dass er ganz unten in seinen menschlichen Überresten ruhe. Später wurde sein Reliquienschrein – wie der des Albinus – all seiner Statuetten beraubt.“
Den Schrein des hl. Maurinus krönen Bergkristallknäufe, und der First des Albinusschreins wird von einem schraubenförmig geschliffenen Zapfen aus Bergkristall geschmückt, der auf einer ebenso geschliffenen Kristallkugel sitzt. Beides deutet auf handwerkliche Meisterschaft hin. In seinem Buch Faszination Bergkristall widmet sich Anton Legner ausführlich diesem Stein und den Spuren, die er in der Kunst- und Kulturgeschichte hinterlassen hat – auch in Köln. Und er äußert die Vermutung, dass Mönche von St. Pantaleon den Kristallschmuck der beiden Schreine angefertigt haben könnten.
„Wie man Bergkristall bearbeitet, hat der Benediktinermönch Theophilus Presbyter in seiner Schrift De diversis artibus gelehrt. Und die Künstlermönche in St. Pantaleon hatten diese Anweisungen zu Kunsttechniken des Mittelalters im eigenen Haus: In ihrer Klosterbibliothek gab es ein Exemplar des Theophilus-Traktats, und zwar das älteste der noch vorhandenen, das später in die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel gelangte. Die Schreine ihrer Heiligen mit kunstvoll gebildeten Bergkristallen, Gleichnissen der Klarheit und Reinheit, zu krönen, war stets fromme Absicht. Es könnte aber auch sein, dass der Bergkristallschmuck der Schreine von St. Pantaleon in der großen Kristallwerkstatt hergestellt worden ist, die man im Jahre 2005 beim U-Bahn-Bau unter dem Kurt-Hackenberg-Platz, also innerhalb der Domimmunität, gefunden hat.“
Dem Kunsthistoriker ist auch ein weiteres Detail nicht entgangen, das sich am Albinusschrein findet:
„Unter den alten Emaillen finden sich zwei Arbeiten des Goldschmieds Carl Kesseler aus dem Jahre 1949, die an Stunden der Vernichtung erinnern: Eine davon zeigt St. Pantaleon beim Fliegerangriff.“
Der Zweite Weltkrieg war jedoch nicht die einzige Zeit, in der Zerstörung drohte:
„Bevor das Westwerk der Theophanu seine heutige wiederhergestellte und wiederaufgebaute Gestalt erhielt, gab es auch in St. Pantaleon Perioden der Missachtung. So zum Beispiel, als das französische Militär Ende des 18. Jahrhunderts den Kirchenraum als Pferdestall nutzte oder als während der französischen Besatzung Kölns zwischen 1794 und 1814 den Figuren eines Tympanons aus lauter Zorn und Hass die Köpfe abgeschlagen wurden.“
„Das Tympanon aus dem 12. Jahrhundert befand sich am Querschiffportal von St. Pantaleon. Es zeigt Christus als Weltenrichter in der Mitte, links von ihm sind die Gottesmutter und der Patron Pantaleon dargestellt, rechts von ihm Johannes Batista und der Stifter Erzbischof Bruno. Diese Ereignisse standen mir oft vor Augen, denn das Tympanon war aus der Sammlung von Ferdinand Franz Wallraf ins Schnütgen-Museum gelangt. Der Kunstsammler hatte es 1820 erworben, als der Klosterkreuzgang abgebrochen wurde. Am Tympanon von St. Pantaleon spricht die Geschichte vom Bilderhass, der so zeitlos zu sein scheint wie die Bilderverehrung.“
Als alter Bilderverehrer freut sich Anton Legner sehr, dass die Kirche, die er so gut kennt und mit der ihn so viel verbindet, jetzt wieder in neuem Glanz erstrahlt!
Literatur
Anton Legner, Kölner Heilige und Heiligtümer. Ein Jahrtausend europäischer Reliquienkultur, Greven Verlag, Köln 2003
Anton Legner, Kölner Reliquienkultur. Stimmen von Pilgern, Reisenden und Einheimischen, Greven Verlag, Köln 2017
Anton Legner, Faszination Bergkristall. Kölner Erinnerungen, Greven Verlag, Köln 2021
Anton Legner, Von Prag nach Köln. Bilderbuch der Erinnerungen, Greven Verlag, Köln 2023
Wera Reusch (geb. 1963) arbeitet als freie Journalistin und Lektorin in Köln.
Professor Dr. Anton Legner (geb. 1928) war von 1970 bis 1990 Direktor des Museum Schnütgen in Köln. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, darunter Standardwerke zur Kunst des Mittelalters und zur Heiligenverehrung in Köln.